Linda Chapman

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Sternenschweif

Nacht der     
     1000 Sterne

Umschlaggestaltung: Niklas Schütte, Siegburg

unter Verwendung einer Illustration von Silvia Christoph, Berlin

Textillustrationen: © Biz Hull

Titel der englischen Originalausgabe:

Linda Chapman: My secret unicorn – A winter wish

© 2002, Working Partners Ltd.

First published by Puffin Books, London 2002

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© 2004, 2012, 2017 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-15739-8

Übersetzung: Bettina Schaub

Satz: Doppelpunkt, Stuttgart

Layout: Ralph Paucke

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

1

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Lauras Atem kräuselte sich in kleinen Wölkchen in der kalten Dezemberluft. „Wir sind gleich da“, flüsterte sie. Nach Anbruch der Dämmerung schien der Wald in eine Art Winterschlaf gefallen zu sein. Kein Laut war zu hören.

Sternenschweif nickte und schnaubte leise. Für alle, außer für Laura, sah er wie ein ganz normales kleines graues Pony aus. Aber sie wusste, dass sich dahinter ein Geheimnis verbarg. In einem alten Buch hatte sie einen versteckten Zauberspruch entdeckt, mit dem sie ihr Pony in ein Einhorn verwandeln konnte. In ihr Einhorn! Noch immer bekam Laura Gänsehaut, wenn sie an den Moment dachte, als Sternenschweif zum ersten Mal als Einhorn vor ihr stand – so strahlend schön!

Sie erreichten die Lichtung. Mitten im Winter schmückten unzählige purpurrote, sternförmige Blüten den Boden. Leuchtkäfer tanzten in der stillen Luft, rings um die Lichtung schimmerten Steine aus Rosenquarz geheimnisvoll im Licht der untergehenden Sonne.

Laura schwang sich aus dem Sattel. „Wir müssen uns beeilen, denn es ist schon spät. Aber ich muss unbedingt noch etwas erledigen.“

Rasch murmelte sie den Zauberspruch:

Silberstern, Silberstern,

hoch am Himmel, bist so fern.

Funkelst hell und voller Macht,

brichst den Bann noch heute Nacht.

Lass dies Pony grau und klein

endlich doch ein Einhorn sein.

Ein violetter Blitz flammte auf. Als das grelle Licht kurz darauf wieder der Dämmerung gewichen war, zeichneten sich die Umrisse eines schneeweißen Einhorns ab. Sein silbernes Horn schimmerte in der Dunkelheit. Liebevoll stupste Sternenschweif Laura an: „Raus damit, was hast du vor? Fliegen wir heute Nacht gemeinsam eine Runde?“

„Na klar, was denkst du denn! Aber erst könntest du mir noch einen Gefallen tun“, antwortete Laura. „Ich würde zu gerne wissen, ob Charlie und Anna meine Einladungen bekommen haben und uns in den Weihnachtsferien besuchen.“

Die beiden waren Lauras beste Freundinnen gewesen, als sie mit ihrer Familie noch in der Stadt wohnte. Sie hatten zwar seitdem öfters miteinander telefoniert, gesehen hatten sie sich jedoch seit ihrem Umzug auf die Farm nicht mehr. Das war vor acht Monaten gewesen.

„Lass uns gleich nachschauen“, sagte Sternenschweif bereitwillig und beugte seinen Kopf über einen der rosafarbenen Steine. Als Einhorn verfügte er über viele magische Kräfte. Eine davon war, dass er Rosenquarzsteine in eine Art Spiegel verwandeln konnte, der ihnen zeigte, was an anderen Orten geschah.

„Es kann dir doch nicht schaden, wenn wir das tun, oder?“, fragte Laura plötzlich besorgt. „Du sollst auf keinen Fall meinetwegen krank werden!“

Erst vor kurzem hatten sie entdeckt, dass Sternenschweifs magische Kräfte schwanden, wenn er sie nicht ausschließlich dafür einsetzte, anderen zu helfen. Dann konnte er sogar richtig krank werden.

„Keine Angst! Wir sehen ja nur ganz kurz nach.“

Mit seinem Horn berührte Sternenschweif einen der schimmernden Steine. „Anna und Charlie!“, sagte er gebieterisch.

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Ein violetter Blitz flammte auf und Nebel umhüllte den Stein. Als er sich verzog, schimmerte auf der steinernen Oberfläche ein Bild.

„Da sind sie!“, rief Laura aufgeregt. Sie hatte ihre beiden Freundinnen sofort erkannt.

Charlie hatte ihre lockigen roten Haare ganz kurz schneiden lassen, aber Anna sah mit ihrem langen schwarzen Pferdeschwanz aus wie immer. Sie hielten gerade die Einladungskarten in der Hand, die Laura ihnen geschickt hatte. Neugierig beugte sie sich vor, um ihre Freundinnen reden zu hören.

„Das wäre echt cool!“, sagte Charlie gerade. „Ich würde Laura so gerne wiedersehen!“

„Und vielleicht dürfen wir auf ihrem neuen Pony reiten?“, fügte Anna hinzu.

Sternenschweif schnaubte zufrieden. Die beiden schienen Ponys zu mögen.

Charlie nickte. „Ich frage meine Mutter noch heute Abend. Dann kann sie gleich etwas mit Lauras Mutter ausmachen.“

„Prima Idee!“ Annas braune Augen strahlten. „Vielleicht dürfen wir Laura gleich am Anfang der Ferien besuchen?“

„Jippie! Sie kommen!“, rief Laura und sprang auf. „Ich würde ihnen ja zu gerne dein Geheimnis verraten. Die beiden wären sicher total begeistert!“

Aber sie durfte nicht, denn sonst würde sie Sternenschweif in Gefahr bringen. Nicht einmal ihre Eltern waren eingeweiht. Nur zwei Menschen wussten Bescheid:

Ihr Freund Michael, dem sie geholfen hatte, sein eigenes Einhorn zu finden, und Mrs Fontana, der die Buchhandlung in der Stadt gehörte. Sie hatte ihr das alte Buch über die Geschichte der Einhörner geschenkt, in dem Laura den Zauberspruch entdeckt hatte. Ohne Mrs Fontana hätte Laura niemals erfahren, dass es überall auf der Welt Einhörner gab, die als kleine graue Ponys nach ihren ganz besonderen Freunden suchten, nach Kindern, die an die Macht des Zaubers glauben.

„Wir werden trotzdem jede Menge Spaß haben“, versicherte Sternenschweif ihr. „Aber jetzt lass uns endlich fliegen!“

Laura nickte und stieg auf. Mit zwei großen Sprüngen trug Sternenschweif sie hoch in die Luft. Laura schmiegte sich eng an ihn, während sie über Baumwipfel hinwegflogen, die von einer glitzernden Schneeschicht wie mit dickem Zuckerguss überzogen waren.

„Wenn es nur schon Freitag wäre!“, seufzte Laura. „Dann hätten wir endlich Ferien.“

„Und dann können wir beide auch wieder mehr Zeit miteinander verbringen“, freute sich Sternenschweif.

Laura nickte vergnügt. Ferien waren das Beste überhaupt: Sie konnte den ganzen Tag bei Sternenschweif sein, ihn striegeln und putzen, bis er das schönste Pony weit und breit war, lange Ausritte durch den Winterwald machen und nachts über den Wolken fliegen, ohne auch nur einen Gedanken an Hausaufgaben oder Klassenarbeiten verschwenden zu müssen.

Kurz bevor sie auf der Farm ankamen, verwandelte Laura Sternenschweif wieder in ein Pony. Sie ritten gerade auf den Hof, als ihnen Mr Foster entgegenkam.

„Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Du weißt doch, dass du im Dunkeln nicht mehr draußen sein sollst, Laura.“

„Tut mir Leid, Dad!“

„Na ja, schon gut.“ Mr Foster tätschelte Sternenschweifs Hals. „Komm beim nächsten Mal früher heim. Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst. Aber im Winter ist es im Wald einfach gefährlich. Wenn es schneit, dann sieht oft alles ganz anders aus und man kann sich leicht verirren.“

Laura nickte. „Versprochen! Ich bleibe nicht mehr so lange draußen.“

Laura führte Sternenschweif in seine Box. Liebevoll drückte sie einen Kuss auf seine weiche Nase. „Zum Glück passt du ja immer gut auf mich auf, nicht wahr?“

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„Ihr ratet nie im Leben, was ich für tolle Neuigkeiten habe!“ Aufgeregt lief Laura am nächsten Morgen ihren beiden Schulfreundinnen Mel Cassidy und Jessica Parker entgegen.