Der Bergpfarrer 127 – Aus einem Traum erwacht

Der Bergpfarrer –127–

Aus einem Traum erwacht

Roman von Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-306-9

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»Grüß Gott, Herr Steinbach«, begrüßte Andrea Winter den älteren Herrn, der gemessenen Schrittes die Schalterhalle der Münchner Privatbank Hensel & Frank durchquerte und direkt auf sie zukam.

»Einen schönen guten Morgen, gnädiges Fräulein«, grüßte er zurück, wobei seine Äuglein vergnügt lächelten und die junge Angestellte anblinzelten. »Wie ist das werte Befinden? Ich hoffe, es geht Ihnen gut?«

»Vielen Dank. Es könnte nicht besser sein.«

Andrea lächelte.

Regelmäßig einmal die Woche kam Ludwig Steinbach, um seine Bankgeschäfte zu erledigen. Er war schon seit über dreißig Jahren Kunde und liebte es, ein wenig mit den Angestellten zu plaudern. Der ehemalige Juwelier war noch ein Herr aus der alten Schule; immer höflich und stets korrekt gekleidet. Nie kam er in die Bank, ohne daß eine rote Nelke am Revers seines Sakkos steckte.

Während sie die Einzahlung verbuchte und ihm den Beleg reichte, ruhten seine Augen wohlgefällig auf der jungen Frau.

Andrea Winter war dreiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte ein anmutiges Gesicht, das von schulterlangen, blonden Haaren umrahmt wurde. Ihre blauen Augen verzauberten jeden, der in sie hineinblickte, und Ludwig Steinbach behauptete, erst wenn sie lächelte, sei die Sonne aufgegangen.

Es war noch früh am Morgen, die Bank hatte gerade erst geöffnet, und es waren noch keine weiteren Kunden da. Andrea unterhielt sich noch eine Weile mit dem Juwelier, ehe der eine formvollendete Verbeugung machte und sich verabschiedete.

»Grüßen Sie mir Ihren Verlobten«, sagte er zum Abschied. »Und richten Sie ihm meinen aufrichtigen Dank aus, für den guten Tip, den er mir gegeben hat.«

»Das mache ich«, versprach Andrea und sah Ludwig Steinbach hinterher, wie er, nach allen Seiten grüßend, den Schalterraum verließ.

Dann dachte sie an Christoph. Sie freute sich schon darauf, ihn in der Mittagspause zu treffen. Sein Büro lag nur ein paar Straßen weiter, und wenn sie es einrichten konnten, verabredeten sie sich immer zum Essen in einem kleinen Lokal.

Seit einem halben Jahr waren sie nun ein Paar. Kurz zuvor hatte Andrea ihre Stelle in der Privatbank angetreten.

Als sie Christoph von Maynersbach das erste Mal gegen­überstand, hatte es sofort gefunkt.

Was allerdings auch kein Wunder war. Der junge Graf war ein gutaussehender Mann, der, wenn er einen Raum betrat, jeden gleich für sich einnahm. Christoph war groß und schlank.

Er besaß ein markantes Gesicht, das Selbstsicherheit und Durchsetzungskraft ausstrahlte. Zusammen mit einem Partner betrieb er eine Finanzagentur. Sie berieten ihre Mandanten und legten deren Gelder in gewinnbringende Fonds an. Christophs Eltern gehörte ein großer Familienbesitz, einschließlich eines malerischen Schlosses, das dreißig Kilometer südlich von München stand.

Hätte jemand bei ihrer ersten Begegnung gesagt, daß sie auf diesem Schloß bald ein und aus gehen würde, Andrea hätte ihn ausgelacht.

Ja, ein gutaussehender, junger Graf – ein Prinz des Herzens – welche junge Frau träumte nicht davon!

Aber Andrea, die aus einfachen Verhältnissen stammte, war realistisch genug, um zu sehen, daß Welten sie und Christoph von Maynersbach trennten.

Und doch geschah das Unglaubliche!

Christoph hatte sich, genau wie sie, auf den ersten Blick verliebt. Und wenn es auch seine Zeit dauerte, bis sie seinem Werben nachgab, so ließ er doch nicht locker. Ihr erster gemeinsamer Abend geriet zu einem Fest.

Es war wie ein Traum. Christoph holte Andrea von ihrer Wohnung ab und führte sie zum Essen aus. Als sie dann später in einer Diskothek tanzten, merkte sie schnell, daß ein Graf ein genauso natürlicher Mensch war wie sie. Er lachte und scherzte und hatte so gar nichts Dünkelhaftes an sich.

Spät in der Nacht brachte er sie wieder nach Hause, und sie gaben sich ihren ersten Kuß.

Dem noch viele andere Küsse folgen sollten.

Schnell stellte Christoph Andrea seinen Eltern vor, und wenn sie auch fürchterliche Angst vor dieser Begegnung hatte, so wich sie in dem Moment, als seine Mutter sie in die Arme schloß und willkommen hieß.

Dann dauerte es nicht mehr lange, bis Christoph ihr einen Heiratsantrag machte. In vier Wochen sollte offiziell Verlobung gefeiert werden, ganz groß mit vielen Gästen.

Darüber wollte Andrea nachher mit ihm sprechen. Es war noch soviel zu tun.

Als Geschäftsmann hatte der junge Graf einen großen Kreis von Bekannten und Kunden, und noch immer feilten sie an der Gästeliste herum. Übermorgen mußten die Einladungen rausgeschickt werden, und es war höchste Zeit, daß sie endlich alle Namen beisammen hatten.

Bis zum Mittag lief das Bankgeschäft eher ruhig, und der Abteilungsleiter hatte nichts dagegen, daß Andrea ein paar Minuten eher ging. Als sie wenige Minuten später das Lokal betrat, saß Christoph schon an ihrem gewohnten Tisch.

Die junge Frau grüßte die Bedienung und eilte zu ihm. Zwei Schritte davor blieb sie überrascht stehen. Christoph sah ihr mit einer Miene entgegen, die nichts Gutes verhieß. Für einen Moment sah es aus, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. Doch dann stand er auf und lächelte.

»Hallo«, sagte Andrea und gab ihm einen Kuß. »Ist was?«

Christoph von Maynersbach zuckte die Schultern.

»Ich bin mir noch nicht sicher«, erwiderte er. »Aber irgendwas stimmt nicht mit Rupert.«

Rupert Brandner war sein Geschäftspartner. Andrea mochte den kleinen, etwas rundlichen Mann nicht besonders. Er wirkte irgendwie hinterhältig auf sie, ohne daß sie es wirklich hätte begründen können. Es war nur so ein merkwürdiges Gefühl, das sie jedesmal beschlich, wenn sie ihn sah.

»Was ist denn mit ihm?« fragte sie.

Christoph zuckte erneut die Schultern.

»Er ist heut’ morgen nicht im Büro erschienen«, sagte er leise, damit die Leute an den Nachbartischen nicht mithören konnten. »Zu Hause geht er nicht ans Telefon, und sein Handy ist ausgeschaltet. Leider hatte ich den ganzen Morgen über jede Menge Mandanten da, so daß ich nicht zu ihm fahren konnte.«

Er lächelte sie bittend an.

»Wäre es sehr schlimm, wenn unsere Mittagspause heute ein wenig kürzer ausfällt?« fragte er. »Die Sache läßt mir keine Ruhe. Vielleicht ist er ja krank und kann nicht ans Telefon gehen. Ich würde gerne zu ihm hinfahren und nachsehen.«

»Natürlich«, nickte Andrea. »Mach nur und gib mir Bescheid, wenn du etwas weißt.«

»Gut«, nickte der junge Graf, »dann mache ich mich gleich auf den Weg.«

Er gab ihr einen Kuß und eilte davon, während Andrea einen Blick in die Speisekarte warf.

Warum nur hatte sie plötzlich keinen rechten Hunger mehr? War es eine Vorahnung, daß etwas ganz Schlimmes geschehen war?

Sie bestellte einen kleinen Salat und wartete ungeduldig darauf, daß Christoph anrief und ihr etwas Beruhigendes mitteilen würde.

Leider vergebens…

*

Sebastian Trenker schaute mit großen Augen auf die Baufahrzeuge, die mit viel Lärm und Getöse durch die Straße fuhren.

Der Bergpfarrer fragte sich, wohin die Arbeiter wollten. Seines Wissen war in St. Johann kein Bauvorhaben geplant.

Zumindest kein konkretes…

Plötzlich stieg ein Verdacht in ihm auf. Am Rande des Ortes gab es ein großes Grundstück, dessen Eigentümerin vor ein paar Wochen verstorben war. Ihr Neffe, Ingo Gärtner, der in Frankfurt lebte und dort eine Tischlerei betrieb, hatte das Grundstück geerbt und es zum Verkauf an einen Makler übergeben. Wie Sebastian erfahren hatte, legte es ein Münchner Großgastronom darauf an, es zu erwerben und darauf einen riesigen Hotelkomplex zu errichten.

Daß dies nicht im Sinne des guten Hirten von St. Johann war, lag auf der Hand. Ingo Gärtner hatte ihm zwar versprochen, den Makler dahingehend anzuweisen, das Grundstück nicht an jemanden zu verkaufen, der genau so etwas plane. Doch letzten Ende hatte das keinen wirklichen Einfluß. Es würde ohnehin nicht einfach sein, das Areal loszuschlagen, betrug sein Wert doch gut und gerne über eine Million Euro. Da mußte erst einmal jemand gefunden werden, der bereit war, soviel zu investieren und in einem alten Haus zu wohnen, das zwar noch gut in Schuß war, aber dennoch hier und da renoviert werden mußte.

Jemand mit soviel Geld war wohl nur schwerlich bereit, diese Summe zu zahlen und in das Haus zu ziehen. Für das Geld konnte er auch woanders attraktiveres Eigentum erwerben.

Daß ein Hotel gebaut werden sollte, war nur herausgekommen, weil Markus Bruckner, der Bürgermeister von St. Johann, der hinter allem steckte, Sepp Reisinger, dem Wirt des Hotels »Zum Löwen«, reinen Wein einschenken mußte. Der saß nämlich im Gemeinderat, in Bruckners Fraktion, und dort mußte über den Bauantrag abgestimmt werden. Sepp sah es natürlich gar nicht gerne, daß ihm so eine Konkurrenz vor die Nase gesetzt werden sollte, und hatte Pfarrer Trenker eingeweiht.

Als Sebastian jetzt die Baufahrzeuge in Richtung Ortsausgang fahren sah, schrillten bei ihm die Alarmglocken – genau dort lag das Grundstück, um das es ging!

Während der Geistliche mit schnellen Schritten folgte, fragte er sich, mit welchen Tricks es Markus Bruckner gelungen war, die Instanzen zu umgehen. Bisher hatte es noch keine Abstimmung im Gemeinderat gegeben, und er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der Bürgermeister so dreist war, sich über die Köpfe der Mitglieder hinwegzusetzen.

Aber wie hatte er es dann geschafft?

Die Fahrzeuge waren vor dem Grundstück zum Stillstand gekommen. Männer sprangen aus den Führerhäusern und verteilten sich. Werkzeuge und Vermessungsgeräte wurden ausgepackt. Einer richtete ein Lasermeßgerät ein. Sebastian trat hinzu und sprach einen der Männer an.

»Darf ich mal fragen, was Sie hier machen?« erkundigte er sich höflich.

Der Mann, ein muskelbepackter Arbeiter, der wegen der Hitze das Hemd ausgezogen hatte und mit freiem Oberkörper dastand, zuckte die Schultern.

»Das müssen S’ den Josef fragen«, erwiderte er und deutete auf einen Mann, der mit einem Plan in der Hand vor dem Zaun stand und irgendwas verglich.

Der Geistliche trat zu ihm, grüßte freundlich und wiederholte seine Frage.

Dieser Josef war offenbar der Vorarbeiter. Er rief den anderen ein paar Kommandos und Anweisungen zu, bevor er sich Sebastian Trenker zuwendete.

»Wir haben den Auftrag, ein paar Rohre zu verlegen und einen Keller auszuschachten«, erklärte er. »Dazu messen wir das Gelände jetzt erst mal aus.«

Also doch!

Sebastian konnte es nicht glauben.

Als die Sache mit dem Hotel ruchbar wurde, hatte er Richard Anzinger angerufen. Der Mann der Sängerin Maria Devei, die selbst aus St. Johann stammte, versprach, sich in München umzuhören und herauszufinden, welcher Gastronom wohl Ambitionen hatte, das Hotel zu bauen. Richard besaß ein Im- und Exportgeschäft, das schon sein Vater gegründet hatte. Er hatte viele Kontakte und für Sebastian Trenker schon so manches Mal wertvolle Auskünfte gehabt.

Doch in diesem Fall blieben seine Nachforschungen ohne Ergebnis. Jeder Restaurantinhaber, den er ansprach, verneinte, so eine Absicht zu haben, und der Bergpfarrer tappte weiterhin im dunkeln.

»Können Sie mir den Namen Ihres Auftraggebers nennen?« fragte er den Vorarbeiter.

»Das ist die Mahlich GmbH in München«, lautete die Antwort.

»Mahlich…?« wiederholte Sebastian den Namen. »Und die lassen Sie hier bauen?«

»Nein, die haben uns nur mit den Erdarbeiten beauftragt«, erklärte Josef. »Wir sind ein Subunternehmen, das im Auftrag von Mahlich arbeitet. Die wiederum sind für den eigentlichen Bauherrn tätig. Und wer das ist, müssen S’ dort schon selbst fragen.«

Der Seelsorger bedankte sich für die Auskunft und ging zum Pfarrhaus zurück.

Wie hat der Bruckner das geschafft?

Diese Frage stellte er sich den ganzen Weg. Als er dann an der Straße angekommen war, änderte er die Richtung und ging nicht zur Kirche hinauf, sondern schlug den Weg zum Rathaus ein.

»Ist er da?« fragte er die Sekretärin des Bürgermeisters und klopfte auf ihr Kopfnicken hin an die Tür der Amtsstube.

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er ein.

»Grüß dich, Bruckner«, sagte Sebastian und schaute den Mann hinter dem Schreibtisch ernst an. »Kannst’ mir mal verraten, wie du’s geschafft hast, alle zu hintergehen? Den Gemeinderat und mich eingeschlossen.«

Markus Bruckner sah den Pfarrer verdutzt an.

»Ich weiß net, wovon Sie sprechen, Hochwürden«, behauptete er.

»Von den Bauarbeitern auf dem Grundstück, das die Frau Gärtner ihrem Neffen hinterlassen hat. Davon sprech’ ich!« sagte Sebastian scharf.

»Bauarbeiter?« fragte der Bürgermeister ungläubig.