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6. Auflage 2022
 
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Zgl. Dissertation an der Universität Potsdam, 2016
 
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Redaktion: Ansgar Graw
Korrektorat: Hella Neukötter
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: shutterstock/Allgusak
Satz: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-95972-011-3
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-995-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-996-1

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Inhalt

Vorwort für die 6. Auflage
Vorwort
Einführung
Zum Aufbau der Arbeit
Teil A
Forschungsstand, Fragestellung und Methode
1. Stand der Reichtumsforschung
2. Zum Begriff der Vermögenselite
2.1. Wer ist die Wirtschaftselite?
2.2. Die Bedeutung des Habitus für den Aufstieg in die Wirtschaftselite
3. Stand der Unternehmerforschung
3.1. Sombart, Schumpeter und Kirzner über die Rolle des Unternehmers
3.2. Amerikanische und deutsche Entrepreneurforschung zu Persönlichkeitsmerkmalen und Zielsetzung von Unternehmern
4. Fragestellungen von Behavioral Economics und von Lerntheorien
4.1. Bedeutung von »Bauchentscheidungen« und Intuition
4.2. Optimismus und Überoptimismus
4.3. Risikowahrnehmung und Risikoeinschätzung
4.4. Nonkonformismus
4.5. Explizites und implizites Lernen – informelles Lernen
4.6. Finanzieller Erfolg und akademische Ausbildung
5. Erklärungsversuche in der Literatur über erfolgreiche Menschen – welche Rolle spielt der Zufall?
5.1. Die Rolle glücklicher Zufälle
5.2. Hinweis auf Glück als unbewusste Neidabwehr
5.3. Glück und Zufall als Verlegenheitserklärungen
6. Dispositionelle Persönlichkeitsmerkmale: Big Five und mehr
7. Methode der Untersuchung
7.1. Grenzen quantitativer Methoden in der Reichtumsforschung
7.2. Definition und Zusammensetzung der interviewten Zielgruppe
7.3. Warum Leitfaden-Interviews als Methode gewählt wurden
7.4. Das Problem sozial erwünschter Antworten bei Elite-Interviews
7.5. Methoden der Transkription
7.6. Charakter der Hypothesen
Teil B
Die Interviews mit 45 Hochvermögenden
8. Struktur und Themen der Interviews
9. Prägende Jugendzeit
9.1. Soziale Herkunft
9.2. Frühe Prägungen und Berufswünsche
9.3. Verhältnis zu den Eltern
9.4. Schule und Studium
9.5. Sport
9.6. Frühes Unternehmertum
Zwischenfazit
10. Motive für die Selbstständigkeit
10.1. Die »Misfits«: »Ich hätte nie als Angestellter arbeiten können«
10.2. »Mir geht das zu langsam in solchen Läden«
10.3. »Also es war nie im Kopf, ich gehe jetzt irgendwohin als Angestellter«
Zwischenfazit
11. Reichtum als Lebensziel?
11.1. »Wenn es aufgeschrieben ist, ist es überprüfbar«
11.2. »Das ganze Leben läuft vollkommen anders«
Zwischenfazit
12. Was bedeutet Ihnen Geld?
Zwischenfazit
13. Die Bedeutung verkäuferischer Fähigkeiten
13.1. »Egal, was wir machen, wir verkaufen immer«
13.2. »Das Nein heißt überhaupt nicht Nein«
13.3. Verkaufserfolg mit Empathie, Didaktik, Fachwissen und Networking
Zwischenfazit
14. Optimismus und Selbstwirksamkeit
14.1. »Dass man aufgrund der eigenen Fähigkeiten immer wieder Lösungen findet«
14.2. »Ich beklage auch nie Probleme, sondern ich suche nach Lösungen«
14.3. »Der ist besoffen vom Erfolg«
Zwischenfazit
15. Risikoorientierung
15.1. Die Risikoskala
15.2. Kontrollillusion: »Ich sitze ja im Driver Seat«
15.3. »Ich mache mir heute schon mehr Gedanken als früher«
Zwischenfazit
16. Entscheidungen fällen: Bauchgefühl oder Analyse?
16.1. »Bauch heißt, dass man sich nicht sicher fühlt«
16.2. »Kann der Wirtschaftsprüfer noch mal den Charakter durchrechnen?«
16.3. Die Rolle der Analyse
Zwischenfazit
17. Die Big Five: Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Neurotizismus
Zwischenfazit
18. Konfliktbereitschaft und Verträglichkeit
18.1. Notwendige Korrekturen des Big-Five-Tests
18.2. Die Verträglichen
18.3. Die Konfliktorientierten
Zwischenfazit
19. Nonkonformismus: »Gegen den Strom«
19.1. »Ich bin absolut auf dem Trip, anders zu denken als jeder andere«
19.2. »Wo Mainstream ist, da ist nicht viel zu holen«
Zwischenfazit
20. Umgang mit Krisen und Rückschlägen
20.1. »Ich bin nach draußen hektisch und drinnen total gelassen«
20.2. »Schiebe nicht die Verantwortung von dir«
20.3. »Du ziehst das geradlinig durch«
20.4. »War im Nachhinein immer besser, dass es passiert ist«
20.5. »Am Tag nach dem Abitur ist alles vergessen«
Zwischenfazit
21. Schlussbetrachtung
21.1. Zusammenfassung
21.2. Offene Fragen und Grenzen der Aussagefähigkeit
Anhang
Der Leitfaden für die 45 Interviews
Literatur

Vorwort für die 6. Auflage

Dieses Buch erscheint nun schon in der 6. Auflage in Deutschland. Ich habe mich über eine intensive Berichterstattung in den Medien gefreut – so hatte der »Spiegel« einen vier Seiten langen Bericht über das Buch gebracht. Die »Psychologie der Superreichen« füllt offenbar eine Lücke. Denn es gibt zwar viele Ratgeber zum Thema »Wie wird man reich?«, aber meist enthalten diese viel Meinung – und wenig oder keine wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Dieses Buch wurde inzwischen ins Englische übersetzt und fand in den USA und Großbritannien Beachtung (hier heißt es: »The Wealth Elite«). Die »Financial Times« schrieb beispielsweise: »Rainer Zitelmann’s study of the psychology of the super rich is an ambitious project. Few could be better qualified for it than Dr Zitelmann – an historian, sociologist, journalist, businessman and investor. There has been no comparable study and it is a compelling read for all who need to understand the characteristics and motivations of rich entrepreneurs. These people drive economic growth, back innovation, create jobs and finance philanthropic projects. So why has such a study never been attempted before? It is hard to access these people and design questionnaires that generate a meaningful response.«

Das Buch erschien auch in China und Südkorea. In der ersten Hälfte des Jahres 2022 wird eine Ausgabe in Vietnam erscheinen. Der Grund, warum es besonders in Asien großes Interesse findet, erschließt sich, wenn man sich die Ergebnisse dieser repräsentativen Befragung anschaut, die ich für mein Projekt »The Rich in public opinion« durchgeführt habe. Wir fragten die Menschen in elf Ländern, wie wichtig es ihnen ist, reich zu werden. Und hier das Ergebnis:

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Sources: Allensbach Institute surveys 11085, 8271, Ipsos MORI surveys J-18-031911-01-02, J-19-01009-29, J-19-01009-47, J-20-091774-05, and J-21-041026-01

Man sieht: Das Buch findet besonders in Ländern Beachtung, in denen das Streben nach Reichtum für viele Menschen eine große Bedeutung hat. Dennoch möchte ich eine Warnung vorausschicken: Wenn Sie ein einfaches Rezept suchen, wie Sie schnell reich werden, dann lesen Sie dieses Buch bitte nicht. Ich habe das in Hunderten Interviews, die ich zu dem Buch gegeben habe, immer wieder betont.

Es gibt viele andere Bücher, bei denen die Autoren behaupten, Ihnen zu zeigen, wie Sie schnell zu Reichtum kommen. Meistens sind die Autoren jedoch selbst nicht reich, und sie haben sich auch nicht wissenschaftlich mit dem Thema Reichtum befasst. Sie hoffen, naive Leser zu finden, die nach Tipps für den schnellen Weg zum Reichtum suchen.

Die »Psychologie der Superreichen« richtet sich an andere Leser: Menschen, die neugierig sind, etwas über die Persönlichkeit und das Denken sehr reicher Menschen zu erfahren, und die sich vor allem für wissenschaftliche Erkenntnisse interessieren. Wenn Sie darin Anregungen finden, über Ihre eigene Einstellung zum Reichtum nachzudenken, kann Ihnen das Buch vielleicht mehr nützen als die vielen Ratgeber, die Ihnen sagen, was Sie tun sollen. Ich hoffe, Sie gehören zu den Menschen, die nicht erwarten, dass andere ihnen das Denken abnehmen – dann haben Sie das richtige Buch gekauft.

 

Dr. Dr. Rainer Zitelmann, Januar 2022

Vorwort

Die Vielzahl von populären Ratgebern »wie man reich wird« belegt, dass dieses Thema sehr viele Menschen interessiert. Merkwürdigerweise gilt dies für die Wissenschaft jedoch bislang weniger. Ich habe sehr viele dieser populären Bücher gelesen und auch manches daraus gelernt, empfand es aber als Defizit, dass es keine wissenschaftlich fundierten Studien dazu gibt. Erst vor wenigen Jahren, als ich selbst ein Buch zum Thema »Reich werden und bleiben« schrieb1, wurde ich bei den Recherchen darauf aufmerksam, dass in Deutschland erste wissenschaftliche Arbeiten über Wege zum Reichtum entstanden waren. Diese Arbeiten untersuchten jedoch zunächst Personen, die überdurchschnittlich gut verdienen oder die es zu einem gehobenen Wohlstand gebracht haben.

Die wirklich Reichen und Superreichen – also Personen, die zwei- oder dreistellige Millionenvermögen oder mehr besitzen – waren hingegen nicht Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen. Dafür gibt es viele Gründe, auf die im Rahmen dieser Arbeit eingegangen wird.

Mir gelang es letztlich, 45 Hochvermögende dafür zu gewinnen, mit mir zu sprechen. Obwohl sie so reich sind, würde sich kaum einer von ihnen selbst als »superreich« bezeichnen. Einer meinte zu mir: »So reich bin ich ja nun auch wieder nicht. Da gibt es ganz andere wie einen Warren Buffett.« Er verwies darauf, dass es laut der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt sogar mehrere Hundert gibt, die reicher seien als er. Das war keine Koketterie, sondern in diesen Vermögenskategorien orientiert man sich »nach oben«. Ich konnte es mir nicht verkneifen, ihn darauf hinzuweisen, dass es immerhin 7,3 Milliarden Menschen gibt, die ärmer sind als er.

Die Interviewpartner waren ausnahmslos Unternehmer oder Investoren, und bevor ich mit den Interviews begann, studierte ich daher die reichhaltige – überwiegend amerikanische – Literatur zur Unternehmerforschung, in der Hoffnung, daraus sinnvolle Fragestellungen zu gewinnen. Ich bedanke mich bei den Interviewpartnern für die große Offenheit. Einer, dem ich eine Zusammenfassung der wichtigsten Interviewteile zuschickte, schrieb mir:

»Teilweise erschrickt man bei der Lektüre über die eigenen Äußerungen schon ein bisschen. Aber ich werde es wohl gewesen sein – der all diese Dinge gesagt hat […] Vermutlich gibt das, was Sie da festgehalten haben, einen ziemlich klaren Umriss meiner Persönlichkeit ab. Auch das wird mich in Zukunft leiten. Es ist, als ob Sie meine Gedanken und meine Überlegungen ›gefilmt‹ hätten.«

Die Interviews fanden zwischen September 2015 und März 2016 statt, wurden persönlich geführt und dauerten jeweils ein bis zwei Stunden. Sie führten mich in viele große und ­kleine Städte in Deutschland. Oft war es nicht einfach, einen Termin zu bekommen, und es war eher die Regel als die Ausnahme, dass ein Termin einmal oder auch mehrmals verschoben werden musste. Vier Interviews führte ich im Ausland, obwohl alle Interviewpartner deutsche Staatsangehörige sind. Die Interviews füllen 1.740 Seiten. Zudem führte jeder Interview­partner (mit einer Ausnahme) einen Persönlichkeitstest durch, der 50 Fragen umfasste.

Die Ergebnisse der Interviews werden im Hauptteil B dieses Buches dargestellt. Der Leser, der sich insbesondere für die Ergebnisse interessiert, kann daher gleich auf Seite 151 beginnen. Dieser Teil des Buches ist unterhaltsamer, und man wird bei allem wissenschaftlichen Anspruch mitunter auch schmunzeln. Wer sich darüber hinaus für die Forschung über Unternehmer und Reiche sowie für die Methoden dieser Untersuchung interessiert und Neugier an wissenschaftlichen Forschungsdiskussionen (mit Originalzitaten auch aus englischsprachigen Arbeiten) mitbringt, der wird in Teil A fündig. Für die Lektüre und das Verständnis des Hauptteils B ist der Teil A gleichwohl nicht zwingend.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Persönlichkeit und den Verhaltensmustern von Hochvermögenden. Bücher, die sich mit dieser Thematik befassen, ob es sich nun um populäre Ratgeber oder um wissenschaftliche Werke handelt, wecken in manchen Lesern erfahrungsgemäß die Erwartung, Erkenntnisse, Anleitungen oder gar Rezepte zu finden, wie man reich werden kann. Und in der Tat werden Verhaltensmuster, Persönlichkeitsmerkmale und Strategien deutlich, die den Interviewpartnern geholfen haben, Vermögen aufzubauen. Es ist jedoch ein Irrtum der populären Reichtumsliteratur2, es genüge, Gemeinsamkeiten reicher Menschen herauszufiltern, um daraus Handlungsrezepte abzuleiten, deren Befolgung mit Sicherheit zum Reichtum führe.

Für diese Arbeit wurden ausschließlich Personen interviewt, die sehr reich geworden sind, und es wird deutlich nachvollziehbar, dass die beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensmuster zu deren überragendem ökonomischen Erfolg beigetragen haben. Doch die interviewten Personen stellen – wie dies für die qualitative Sozialforschung charakteristisch ist – keine repräsentative Stichprobe dar, und vor allem wurde keine Kontrollgruppe von Nicht-Reichen gebildet.

Die hier beschriebenen Verhaltensmuster haben dazu beigetragen, dass diese Personen sehr reich wurden, doch die gleichen Verhaltensmuster, so etwa große Risikobereitschaft, hoher Optimismus, Fokussierung, das Schwimmen gegen den Strom und das Fällen vieler Entscheidungen nach dem »Bauchgefühl«, können auch zum Scheitern führen. Wahrscheinlich, und auch dies wurde in den Interviews deutlich, war es eine der Voraussetzungen dafür, dass diese Personen über einen längeren Zeitraum erfolgreich blieben und ihr Vermögen bewahren und ausbauen konnten, dass sie im Laufe ihres Lebens ihre anfänglich überdurchschnittliche Risikoneigung bändigten. Hätten sie dies nicht getan, dann wären sie vielleicht mit den gleichen Verhaltensmustern und Persönlichkeitsmerkmalen, welche zunächst ihren Erfolg begründeten, zu einem späteren Zeitpunkt gescheitert – aber als Gescheiterte nicht Gegenstand dieser oder anderer Untersuchungen über erfolgreiche Menschen geworden. Bevor ein Leser also allzu vorschnelle Schlüsse zieht, sollte er die gesamte Arbeit lesen und insbesondere auch die einschränkenden Bemerkungen im Schlusskapitel über die Grenzen der Aussagefähigkeit dieser Untersuchung.

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 an der Wirtschafts- und Sozial­wissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation unter dem Titel »Persönlichkeit und Verhaltensmuster der Vermögenselite in Deutschland« angenommen und mit magna cum laude bewertet. Ich möchte mich bei Prof. Dr. Wolfgang Lauterbach bedanken, der diese Arbeit angeregt und begleitet hat. Durch die Forschungen des von ihm initiierten Projektes »Vermögen in Deutschland«, das sich erstmals auf empirisch gesicherter Basis mit der Reichtumsgenese vermögender Deutscher befasst hat, bin ich auf die Reichtumsforschung aufmerksam geworden. Neben ihm war es Prof. Dr. Gerd Habermann, der die Arbeit begleitet hat und mir den Zugang zu einigen Interviewpartnern ermöglichte.

Dr. Dr. Rainer Zitelmann, Januar 2017

 
 

1 Zitelmann, Reich werden.

2 Vgl. z. B. Eker, Fridson, Hill, Kiyosaki, Schäfer.

Einführung

Laut einer 2015 veröffentlichten Studie hat sich der Anteil der Selfmade-Milliardäre an den Milliardären weltweit in den vergangenen 19 Jahren von 43 auf 66 Prozent erhöht.3 Die Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale und Erfolgsstrategien dafür verantwortlich sind, dass es Personen gelingt, in die Vermögenselite vorzustoßen, hat an Interesse gewonnen.

In den vergangenen Jahren hat sich die wissenschaftliche Disziplin der Reichtumsforschung in Deutschland etabliert. Mehrere Dissertationen und Sammelbände sind zu dem Thema erschienen. Ein Forschungsdesiderat ist die Untersuchung jener Gruppe, die im Folgenden als »Vermögenselite« oder »Hochvermögende« bezeichnet wird. Gemeint sind damit Personen, die über ein mindestens zwei- bzw. dreistelliges Nettomillionenvermögen verfügen. Über die Reichtumsgenese in dieser Gruppe und über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensmuster, die ihren wirtschaftlichen Erfolg ermöglichten, gibt es bislang kaum Erkenntnisse.

Zudem wurden von der Reichtumsforschung die Ergebnisse einer anderen Forschungsrichtung zu wenig rezipiert und berücksichtigt, nämlich der Unternehmerforschung. Das verwundert, denn die Ergebnisse der Unternehmerforschung sind auch für die Reichtumsforschung von größtem Interesse, weil – wie in Kapitel 1 gezeigt wird – die große Mehrheit der Reichen als Unternehmer zu ihrem Vermögen kam. Insbesondere die sehr breite Forschung über den Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen und unternehmerischem Erfolg wurde bislang für die Reichtumsforschung nicht fruchtbar gemacht.

Die Dissertation soll diese Lücken füllen. Es wurden 45 Interviews mit Personen geführt, deren Nettovermögen in der untersten Kategorie zwischen 10 und 30 Millionen Euro beträgt und in der obersten mehrere Hundert Millionen oder sogar mehrere Milliarden Euro. Zwei Drittel der Interviewpartner besitzen ein Nettovermögen zwischen 30 Millionen und einer Milliarde Euro. Ganz überwiegend handelt es sich um Selfmade-Millionäre. Darunter sind aber auch einige Hochvermögende, die zwar ein Vermögen geerbt, dieses jedoch erheblich vermehrt haben. Personen, die überwiegend durch Erbschaften oder Schenkungen reich wurden, sind dagegen für die Fragestellung dieser Arbeit nicht relevant.

Die Interviews waren deshalb so fruchtbar, weil in einem ersten Arbeitsschritt sehr viel Mühe darauf verwendet wurde, angemessene Fragestellungen zu entwickeln. Dies geschah auf der Basis einer umfangreichen Auswertung der Forschungsergebnisse aus verschiedenen Bereichen, so insbesondere aus der Reichtumsforschung, der Unternehmerforschung und den Behavioral Economics.

In Teil A der Arbeit wird der Forschungsstand dargestellt, und es wird für den Leser nachvollziehbar, wie die Fragen für die Interviews entwickelt wurden. Es werden Forschungs­desiderate aufgezeigt, Fragestellungen entwickelt und die Untersuchungsmethoden beschrieben. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes, die Entwicklung von Forschungsfragen und die Überlegungen zu angemessenen Methoden führten zur Erarbeitung eines Leitfadens für die Interviews.

Den Ergebnissen dieser sehr breiten Darstellung des Forschungsstandes im Teil A der Arbeit soll und kann hier nicht vorweggegriffen werden, da dies den Rahmen einer Einleitung sprengen würde. Erkenntnisleitend war die Frage nach der Persönlichkeit und den Verhaltensmustern von Hochvermögenden. Die Fragestellungen dienten dazu, Verhaltensmuster zu verstehen und Einstellungen zu rekonstruieren, die eine Bedingung für den ungewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolg dieser Hochvermögenden waren.

Dazu war es wichtig, mehr über die soziale Herkunft, die Jugend, die Ausbildung, über formelle, aber auch vor allem informelle Lernprozesse zu erfahren, die diese Menschen prägten. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der formalen Bildung dieser Personen und dem Reichtumsgrad, den sie erzielten? Oder spielten informelle Lernprozesse – beispielsweise durch den Leistungssport oder durch frühe unternehmerische Tätigkeiten – eine wichtigere Rolle? Können Befunde aus der Unternehmerforschung bestätigt werden, wonach sich unternehmerische Kompetenz schon in der Jugend herausbildete?

Darüber hinaus galt es zu ergründen, was diese Personen – die alle Unternehmer oder Investoren waren – irgendwann in ihrem Leben dazu bewog, sich selbstständig zu machen und die damit verbundenen Risiken einzugehen. War es, wie manchmal in der Forschung behauptet, das Unvermögen, sich an bestehende Strukturen anzupassen und in Hierarchien einzufügen, das diese Personen bewog, ihr eigenes Unternehmen zu gründen?

Eine weitere Frage war, welche Rolle die bewusste Zielsetzung für den finanziellen Erfolg dieser Menschen spielte. War es so, wie etwa in der populären Reichtumsliteratur einhellig dargestellt, dass am Anfang das unbedingte Ziel stand, später einmal reich zu werden? Oder wurden diese Menschen einfach im Ergebnis ihrer unternehmerischen Aktivitäten vermögend, ohne dass dies von vornherein das primäre Ziel gewesen wäre?

Und was verbinden diese Personen, einmal vermögend geworden, mit den Möglichkeiten, die ihnen dieses Vermögen bietet? Schätzen sie die Freiheit und Unabhängigkeit – oder eher die Sicherheit? Welche Bedeutung hat für sie einerseits die Möglichkeit, sich schöne und teure Dinge leisten zu können, und andererseits die Anerkennung, die sie – trotz des Neides, der von vielen beklagt wird – in der Gesellschaft genießen?

Welche besonderen Fähigkeiten und Begabungen spielten für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmer und Investoren eine Rolle? Hier interessiert beispielsweise die Frage nach der Bedeutung verkäuferischer Fähigkeiten. Und wie treffen diese Personen Entscheidungen? Handelt es sich vorwiegend um streng analytisch denkende Menschen oder eher um Personen, die intuitiv (»aus dem Bauch«) entscheiden?

Welche Risiken sind diese Personen bereit einzugehen? Gibt es mit Blick auf die Risiko­freudigkeit Unterschiede zwischen der Phase, in der sie sich selbstständig machten und ein Unternehmen aufbauten, und dem weiteren Verlauf ihrer unternehmerischen Tätigkeit? Nahmen sie diese Risiken überhaupt als solche wahr?

Damit eng zusammen hängt die Frage, welche Rolle Optimismus und auch Überoptimismus spielen. Fast einhellig sehen sich diese Personen als ausgesprochen optimistische Menschen – doch was genau verstehen sie unter »Optimismus«? Und wie stark reflektieren sie die Gefahren des Überoptimismus, auf die die Forschung der Behavioral Economics immer wieder eindringlich hingewiesen hat, weil sie Unternehmer dazu verleitet, unangemessene Risiken einzugehen?

Schließlich: Welche Rolle spielt bei diesen Personen die Neigung, eigene Wege zu gehen, sich auch in Widerspruch zu Mehrheitsmeinungen zu setzen und zuweilen sogar bewusst gegen den Strom zu schwimmen? Welche Rolle spielte dabei die Konfliktfähigkeit? Diese Frage führt zu den Persönlichkeitsmerkmalen, wie sie etwa in der Big-Five-Theorie formuliert wurden: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit. In einem Persönlichkeitstest, den – bis auf eine Ausnahme – alle Interviewpartner machten, wurde deutlich, wie stark diese Persönlichkeitsmerkmale ausgeprägt sind.

In den Jahrzehnten, in denen diese Personen als Unternehmer und Investoren tätig waren, hatten sie auch Krisen zu durchstehen und Rückschläge zu verkraften. Wie gingen sie mit diesen Rückschlägen psychisch um? Werden gemeinsame Verhaltensmuster deutlich, wie diese Persönlichkeiten auf Rückschläge reagierten?

Diese Fragen wurden aus unterschiedlichen Quellen hergeleitet. Neben der Reichtumsforschung waren dies vor allem die amerikanische Unternehmerforschung und die Behavioral Economics. Darüber hinaus ergaben sich Fragen aus der Auswertung von Biografien und Autobiografien erfolgreicher Menschen – ein Thema, über das der Verfasser 2011 ein Buch veröffentlicht hat.4 Es war zu erwarten, dass es sowohl Gemeinsames wie Trennendes zwischen den 45 für diese Arbeit interviewten Persönlichkeiten gab. In welchem Maße kann man gleiche Verhaltensmuster nachweisen, und in welchen Punkten unterscheiden sich ­diese Menschen?

Die untersuchte Gruppe der Personen mit einem mindestens zwei- bis dreistelligen Netto­millionenvermögen ist zahlenmäßig so klein, dass man selbst bei einer Stichprobe von 20.000 Personen, wie sie etwa bei dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) verwendet wird, viel zu wenige davon erfassen würde, um methodisch verlässliche Aussagen zu gewinnen.5 Daher kamen standardisierte Verfahren, die mit quantitativen Methoden arbeiten, für diese Untersuchung nicht infrage. Für diese Dissertation wurde ein qualitativer Ansatz gewählt, und zwar Leitfaden-Interviews. Das heißt, es wurde ein Gerüst von Fragen entwickelt, die als Gesprächsleitfaden dienten, um sicherzustellen, dass die im Vorfeld entwickelten Themen in den Interviews zur Sprache kommen.

Solche Leitfaden-Interviews stellen einen sinnvollen Mittelweg dar zwischen sogenannten narrativen Interviews, bei denen der Interviewer Erzählanregungen gibt, sich jedoch während des Gesprächs so weit wie möglich zurückhält, und standardisierten Verfahren, bei denen alle Fragen wörtlich und in einer genau festgelegten Reihenfolge abgearbeitet werden.

Manche Berichte über Interviews mit Managern und Unternehmern zeigen, dass sich die Interviewer zuvor nicht ausreichend mit dem methodischen Problem eines sozial erwünschten Aussageverhaltens beschäftigt haben. Doch gerade bei Personen, die es gewohnt sind, offizielle und für die Öffentlichkeit gut klingende Statements abzugeben, besteht die Gefahr, dass sie gewohnheitsmäßig glatt geschliffene Worthülsen zum Besten geben. Diese Gefahr ist umso größer, je allgemeiner gefragt und je weniger kritisch insistiert wird. Sie wird noch verstärkt, wenn sich der Interviewer im Nachhinein die Interviewtexte vom Interviewpartner autorisieren lässt. Dies waren die Gründe, warum sich der Verfasser für Leitfaden-Interviews entschieden hat und bewusst darauf verzichtete, die auf Band aufgenommenen Interviews im Nachhinein autorisieren zu lassen.6 Die Äußerungen, die im zweiten Teil der Arbeit umfangreich wiedergegeben werden, wurden also wörtlich so von den Gesprächspartnern in der Interviewsituation formuliert.

Zum Aufbau der Arbeit

In Teil A werden der Forschungsstand, die Fragestellung der Arbeit und die Methode dargestellt. In Teil B werden die Interviews mit den 45 Hochvermögenden ausgewertet.

Kapitel 1 stellt den Stand der Reichtumsforschung in Deutschland und den USA dar, fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen und zeigt Forschungsdesiderate auf. Kapitel 2 setzt sich kritisch damit auseinander, wie in vielen Elitestudien der Begriff der »Wirtschaftselite« verwendet wird. Bislang wurden in Studien zur Wirtschaftselite viel zu einseitig angestellte Manager in Führungspositionen von Großunternehmen untersucht, kaum jedoch selbstständige Unternehmer und Investoren. Es wird begründet, warum dieser Begriff in zwei Kategorien unterteilt werden sollte. In dieser Arbeit wird die Vermögenselite untersucht, eine Teilgruppe der Wirtschaftselite.

Kapitel 3 beschreibt den Stand der Unternehmerforschung. Schon Autoren, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Phänomen des Unternehmertums auseinandergesetzt haben – insbesondere Werner Sombart und Joseph Schumpeter –, maßen psychologischen Fragestellungen eine hohe Bedeutung bei. Heute gibt es eine breite Forschung zur Psychologie der Unternehmer, besonders in den USA, die in Kapitel 3.2. beschrieben wird. Im Mittelpunkt stehen dabei die reichhaltigen Forschungsergebnisse zur Persönlichkeit von Unternehmern.

Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Behavioral Economics sowie mit Lerntheorien, soweit sie für den unternehmerischen Erfolg wichtig sind. Es geht hier sowohl um das »explizite« wie auch um das »implizite Lernen«. Gerade das implizite Lernen, Basis für das »implizite Wissen«, spielt für Unternehmer eine besondere Rolle, wie bisherige Forschungen zeigen und die Interviews mit den Hochvermögenden eindrücklich bestätigen.

Viele Themen wiederholen sich in den Kapiteln 1 bis 4. Es wäre erklärungsbedürftig, wenn das anders wäre. Ganz bewusst wurden die Fragestellungen und Themenkomplexe für die Interviews aus unterschiedlichen Quellen hergeleitet. Themen wie etwa Zielsetzung oder Nonkonformismus finden sich beispielsweise schon in der frühen Unternehmerforschung und sehr ausgeprägt in der modernen Unternehmerforschung, aber ebenso in Arbeiten aus dem Bereich der Behavioral Economics.

Kapitel 5 befasst sich mit der Frage, welche Rolle der Zufall oder das »Glück« für den Erfolg spielen. Beide Faktoren werden häufig von erfolgreichen Menschen genannt, und es gibt Literatur, die die Bedeutung dieser Faktoren sehr viel höher veranschlagt, als das in dieser Arbeit geschieht. Welche sozialpsychologischen Erklärungen gibt es dafür, wenn erfolgreiche Menschen nachdrücklich auf Glück und Zufall hinweisen?

Kapitel 6 setzt sich mit Persönlichkeitstheorien auseinander – insbesondere mit dem Big-Five-Ansatz. Es wird begründet, warum zusätzlich zu den in der Big-Five-Persönlichkeits­theorie erfassten Persönlichkeitsmerkmalen weitere Charakterzüge, insbesondere die Risiko­bereitschaft, in den Interviews erforscht werden.

Im Kapitel 7 geht es um die Methode der Untersuchung. Es wird ein Überblick gegeben, welche Interviewformen für qualitative Interviews möglich sind, und begründet, warum für diese Dissertation mit Leitfragen-Interviews gearbeitet wurde. Darüber hinaus wird besonders ausführlich das oben bereits erwähnte – und in der Unternehmer- und Eliteforschung oft unterschätzte – Problem sozial erwünschter Antworten diskutiert.

Teil B wertet schließlich die Interviews der 45 Hochvermögenden aus. Das umfangreiche Material wurde nach Sachthemen strukturiert. Hier kommen ausführlich die Interviewten selbst zu Wort, denn ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit ist es, die Sichtweise der Interviewpartner zu rekonstruieren und dabei einen möglichst authentischen Einblick in deren Denkweisen und Verhaltensmuster zu gewinnen.

 
 

3 UBS/PWC, S. 13.

4 Zitelmann, Ziele.

5 Grabka, S. 31.

6 Eine Zusammenfassung der Interviews wurde den meisten Gesprächspartnern zwar zugeschickt, jedoch mit der ausdrücklichen und strikt formulierten Bitte, nichts zu ändern (außer bei eindeutigen faktischen Irrtümern, wenn etwa eine Zahl falsch verstanden worden war). Lediglich in einem einzigen Fall nahm ein Interviewpartner dennoch umfangreichere Korrekturen vor, die jedoch auch die ursprünglichen Aussagen nicht verfälschten.