RONALD M. HAHN

 

 

Harry Flynn – Private Eye,

Band 2:

Lumpen sterben einsam...

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

LUMPEN STERBEN EINSAM... 

Das Buch

 

Am gleichen Abend, an dem die GPU in Moskau eine Wohnung stürmte, um Leo Trotzki aus dem Verkehr zu ziehen, saß ich in melancholischer Stimmung mit einer Kaffeetasse in der Hand vor dem Tresen eines Chicagoer Cafés.

Mein Kaffeekonsum war eine Folge des ziemlich genau acht Jahre zurückliegenden Beschlusses unserer Regierung, die Amerikaner für den Rest ihres Lebens zur Trockenheit zu verurteilen. Natürlich hielt sich außer Abstinenzlern kein Mensch an dieses Gesetz: Trotz der Prohibition wurde im Geheimen so viel geschluckt wie immer. Das organisierte Verbrechen schmuggelte den Sprit aus Kanada, aus der Karibik und aus Mexiko ins Land.

Auch Harry Flynn (das bin ich) wusste einen guten Schluck zu schätzen. Außerdem qualmte er, wenn Alkohol im Spiel war, wie ein Schlot – wie alle Männer vor dem Aufkommen der politisch korrekten Weicheier, die Jahrzehnte später gestandene Schluckspechte in die Einsamkeit ihrer vier Wände vertrieben und die Kneipenkultur vernichteten.

Aber ich schweife ab. Mir war an diesem Abend melancholisch zumute, als kurz nach mir ein Gast eingetreten war, der sehr heruntergekommen wirkte: stoppelbärtig, blass, mit wässerigen Augen und zitternden Händen. Er hustete, und als er seine Schiebermütze abnahm und ich sein schütteres blondes Haar sah, sah ich erschreckt, dass ich ihn kannte...

HARRY FLYNN – PRIVATE EYE – hard-boiled Krimis aus dem Chicago der 1920er Jahre von Ronald M. Hahn!

Der Autor

 

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal.

 

Ronald M. Hahn

LUMPEN STERBEN EINSAM...

 

  1. 

 

Am gleichen Abend, an dem die GPU in Moskau eine Wohnung stürmte, um Leo Trotzki aus dem Verkehr zu ziehen, saß ich in melancholischer Stimmung mit einer Kaffeetasse in der Hand vor dem Tresen eines Chicagoer Cafés.

Mein Kaffeekonsum war eine Folge des ziemlich genau acht Jahre zurückliegenden Beschlusses unserer Regierung, die Amerikaner für den Rest ihres Lebens zur Trockenheit zu verurteilen. Natürlich hielt sich außer Abstinenzlern kein Mensch an dieses Gesetz: Trotz der Prohibition wurde im Geheimen so viel geschluckt wie immer. Das organisierte Verbrechen schmuggelte den Sprit aus Kanada, aus der Karibik und aus Mexiko ins Land.

Auch Harry Flynn (das bin ich) wusste einen guten Schluck zu schätzen. Außerdem qualmte er, wenn Alkohol im Spiel war, wie ein Schlot – wie alle Männer vor dem Aufkommen der politisch korrekten Weicheier, die Jahrzehnte später gestandene Schluckspechte in die Einsamkeit ihrer vier Wände vertrieben und die Kneipenkultur vernichteten.

Aber ich schweife ab. Mir war an diesem Abend melancholisch zumute, als kurz nach mir ein Gast eingetreten war, der sehr heruntergekommen wirkte: stoppelbärtig, blass, mit wässerigen Augen und zitternden Händen. Er hustete, und als er seine Schiebermütze abnahm und ich sein schütteres blondes Haar sah, sah ich erschreckt, dass ich ihn kannte.

Wir waren die einzigen Gäste in dem Laden. Der Neuankömmling zog die Nase hoch und nickte dem Wirt zu. „Ich hätte gern ’n Tässchen starken Kaffee, Eddie.“

Eddie schüttelte griesgrämig den Kopf. „Is nich, Bernie. Du hast leider noch ’ne Riesenrechnung offen.“ Er griff in eine Tasche seines Oberhemdes, zog einen Zettel heraus und legte ihn auf die Theke. „Achtzehnfünfzig.“

Das war ein Haufen Geld für einen Wermutbruder.

„Kein Problem“, sagte Bernie. „Ich zahl bar. Schenk mir schon mal ’n Tässchen ein. Aber ich will besonders starken Kaffee haben.“

Besonders starker Kaffee bedeutete in diesem Laden, dass er einen dreistöckigen Whisky in der Tasse haben wollte. Ein starker Kaffee wäre ein doppelter gewesen. Wer wirklich Kaffee wollte, sagte „Kaffee ohne alles, aber mit Milch und Zucker“.

Eddie machte große Augen. „Alles?“

„Yeah, und zwar auf der Stelle.“ Bernie entnahm seiner Hosentasche ein Geldscheinbündel. Er suchte zwei Zehner heraus und legte sie auf den Tresen. „Behalt den Rest. Und jetzt her mit dem Kaffee.“

Eddie nahm die Scheine, ging zur Kanne und schenkte Bernie ein. Den Bourbon fügte er unter der Theke hinzu.

Bernie kippte die Hälfte in einem Zug und machte „Ahhh“. Es war eine echte Freude zu sehen, wie aus dem heulenden Elend binnen einer Minute ein ausgeglichener Mensch wurde, dessen Hände nicht im Geringsten zitterten.

Bernie schaute mich an und kniff die Augen zusammen. Eddie stand in Hemdsärmeln hinter der Theke und beäugte ihn aufmerksam.

Ich erwiderte Bernies Blick. Er schaute fast so schwermütig drein wie ich. Er schwang sich hinter den Knick des Tresens auf einen Barhocker.

„Mistwetter, was?“ Er schüttelte sich.

Ich nickte. „Machen Sie mir auch noch ’ne Tasse“, sagte ich zu Eddie und hielt ihm das leere Porzellan hin.

Ich war zum ersten Mal allein in seinem Laden. Mein Kumpel Shawn, der bei der Chicago Tribune als Sportreporter die Feder schwang, hatte mich mal mit hierher genommen. Natürlich hatte Eddie sich mein Gesicht nicht gemerkt, denn an dem Abend war es rammelvoll gewesen. Ich hatte mir aber Parole gemerkt – „Schönen Gruß von Vetter Henry“ –, deswegen hatte ich keine Probleme gehabt, einen gewürzten Drink zu kriegen. 

„Kennen wir uns nicht?“, fragte Bernie mich.

„Hör mal, Bernie...“, mischte Eddie sich ein. Er nahm wohl an, es sei mir nicht Recht, von einem Trunkenbold angequatscht zu werden.

„Kann schon sein“, erwiderte ich. Bernie tat mir Leid. Es war mir unangenehm, einen Mann wie ihn, den ich zuletzt in einem Smoking und mit einer vier Dollar teuren Havanna zwischen den Zähnen im New Yorker Stork Club gesehen hatte, in einem solchen Zustand anzutreffen.

Eddie füllte meine Kaffeetasse. Draußen schiffte es vom Himmel hoch. Die Welt war grau. So ungefähr stellte ich mir einen durchschnittlichen Tag auf dem Planeten Venus vor. Der Regen lief an den Scheiben runter, durch die man die Straße kaum noch erkannte. Hin und wieder sah ich die Schatten von Fußgängern vorbeihuschen. Das Café hörte auf den exotischen Namen „Chez Ed“ und lag einer Straßenecke. Vermutlich hörte man deswegen alle Nase lang das Kreischen von Bremsen.

Bernie musste Ende dreißig sein, aber er sah zwanzig Jahre älter aus. Früher war er schlank gewesen. Nun war er aufgeschwemmt. Seine Gesichtsbräune war einem fahlen Käseweiß gewichen. Er sah erschreckend aus. Sein Blick war stumpf und hektisch.

Hinter der Theke ging eine Tür auf. Eine Frau schob den Kopf hinein. „Schau dir mal die Spüle in der Wohnung an, Eddie“, sagte sie. „Das Wasser läuft nicht mehr ab.“ 

Eddie stieß eine Verwünschung aus. Er schaute uns kurz an, als frage er sich, ob er uns ein paar Minuten allein lassen könne. Offenbar wirkten wir vertrauenswürdig. „Bin gleich wieder da.“ Er nickte uns zu und schloss die Kasse ab. „Ich kenn mich mit so was aus. Kann nur Minuten dauern.“ Er verschwand.

Stille breitete sich aus. Angesichts des vom Himmel fallenden Wassers war es fast gemütlich. Dicke Tropfen klatschten gegen die Scheiben. Es roch nach Kaffee und Tabak.

Bernie kicherte und deutete mit dem Kopf hinter die Theke. „He, Mann... Ist das nicht die Gelegenheit, sich kostenlos die Birne voll zu knallen?“ 

Ich schaute ihn an. 1923 hatte er einer ausgelassenen Schar junger Intellektueller, zu der mich meine Freundin Angie mitgenommen hatte, im teuersten Club New Yorks Champagner auf Eis ausgegeben. Ja, in den wenigen Wochen unserer Bekanntschaft war es Bernard Kohner wirtschaftlich gut gegangen. Was hatte ihn aus der Bahn geworfen und nach Chicago verschlagen?

„Yeah, mach mal“, sagte ich. „Wenn du auf Menschen pfeifst, die dir immerhin für achtzehnachtzig Kredit einräumen, obwohl du nicht mal so aussiehst, als hättest du einsachtzig in der Tasche.“

„Ich hab’s ja nur hypothetisch gemeint“, erwiderte Bernie irgendwie verschnupft. „Wollte nur ’n bisschen Konversation machen. So was würd ich doch in Wirklichkeit nie tun, Mann.“ Er trank einen Schluck und beäugte mich. „Ich hab wirklich das Gefühl, dass wir uns kennen? Woher kommen Sie?“ 

„Dreimal dürfen Sie raten.“

„Sehr witzig, Mann.“

„Liegt am Wetter“, sagte ich und nahm einen großen Schluck. Es war mein dritter sehr starker Kaffee. Mir war schön warm. Ich hatte alle Lampen an und lechzte nach einer Kippe. Also zückte ich mein silbernes Zigarettenetui. Hatte Angie mir geschenkt. „Regen bringt mich in Stimmung.“ 

„Bei mir ist der Bourbon.“ Bernie rieb sein Kinn. Plötzlich blitzten seine Augen auf. „Jetzt fällt’s mir ein“, sagte er. „Sie gehören zu Angies Clique. New York 1923, nicht wahr?“ Er nickte. „Ja, diese Möchtegern-Dichter, die mir im Stork Club nicht von der Pelle wichen, als ich mit Scott Fitzgerald da war.“ Bernie rümpfte die Nase. „Keiner von denen war einen Schuss Pulver wert. Keiner von denen konnte einen Punkt von einem Komma unterscheiden.“ Sein Blick nahm einen verträumten Ausdruck an. „Außer Angie.“ 

Ja, Angie. Ich hatte seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr und in dieser Zeit auch nur selten an sie gedacht. Angie hatte sich für eine Dichterin gehalten. Inzwischen hatte sie eingesehen, dass vom Dichten niemand leben – geschweige denn reich werden – konnte. Heutzutage schrieb sie dicke Frauenromane, die sich rasend verkauften.

Bernie blickte mich an. „Na?“, fragte er. „Hab ich Recht?“ Er grinste.

Ich sah, dass er einen Goldzahn hatte. Als ich ihm antworten wollte, fiel mir das Zigarettenetui aus der Hand und landete auf dem Boden. Normalerweise ist dies das Zeichen, dass ich genug getrunken habe.

Während ich meine Trotteligkeit verwünschte, bückte ich mich hinter den Tresen, um das Etui aufzuheben. Im gleichen Moment spürte ich einen kühlen, nach Feuchtigkeit riechenden Luftzug.

Als ich in den Barspiegel schaute, sah ich eine dunkle Gestalt im Windfang der Eingangstür. Die Gestalt hielt ein Schießeisen in der Hand, das im gleichen Moment schallgedämpft Plopp-Plopp-Plopp machte und Feuerstrahlen ausspuckte. 

Bernie Kohner klatschte durchlöchert und mausetot auf den Boden.

Die Gestalt verschwand. Die Tür schlug zu. Ich hechtete zum Ausgang, schob den Windfang beiseite, riss die Tür auf und trat in den Regen hinaus. Ich sah einen blauen Ford T, dessen Tür jemand zu riss. Der Wagen fuhr los. Auf dem Nummernschild stand 69MR69. Der Kotflügel hinten links hatte eine hübsche Beule. Eine Rostlaube aus studentischem Besitz – und höchstwahrscheinlich geklaut.

Kein Schwanz war auf der Straße zu sehen. Ich ging ins Lokal zurück. Bernie lag reglos auf dem Boden. Blut strömte aus seinem Kopf und aus Löchern in seinem Rücken. Ich sah seine starren Augen und dachte zu meinem Erstaunen an Angie, die Frau, die er bekannt und reich gemacht hatte, während er selbst wie ein armer Hund zu Grabe getragen werden würde. 

Er war tot. Ich stand auf und leerte meine Tasse. Normalerweise hätte ich die Polizei anrufen müssen. Dass ich es nicht tat, hatte zwei Gründe: 1. Ich sah weit und breit kein Telefon. 2. Ich hatte am Abend zuvor einen Fall abgeschlossen, über den ich vielleicht später mal berichte, und war dabei mit Lieutenant Quick von der Mordkommission der Chicago City Police aneinander geraten, der schon seit langem darauf aus war, mich aus dem Verkehr zu ziehen.

Also wischte ich meine Tasse und das Stück Tresen, an dem ich gesessen hatte, gründlich mit dem Ärmel ab, zog meinen Trenchcoat an, klappte den Kragen hoch, zog meinen Hut in die Stirn, ging auf die Straße hinaus und hielt mich, um nicht nass zu werden, dicht an den Häuserwänden.

Ich bog einmal nach links, einmal nach rechts und dann wieder nach links ab, ging in einen Drugstore und begab mich zu den Toiletten, in denen es ein Münztelefon gab. Ich ließ mich mit dem Präsidium verbinden.

„Chicago City Police“, meldete sich ein Reibeisen. „Sie sprechen mit Sergeant Quincannon.“

„Angenehm, Sir“, sagte ich mit einem breiten deutschen Akzent. „Mein Name ist Fritz Sapirsteen. Ich hab hier ’n Tip für Sie, Sarge. Könnte Ihrer Beförderung dienlich sein.“

„Was?“, sagte Quincannon verdutzt.

„Da ist ’n Mord passiert“, fuhr ich fort. „Ecke Chestnut und North Dearborn Street, im Café Chez Ed.“ 

„Jet Set?“ Quincannon hätte vermutlich nicht mal ’ne franzmännische Silbe erkannt, wenn sie seinen Schniedel geküsst hätte.

„Yeah, so ungefähr“, sagte ich. „Fahren Sie da mal hin. Da liegt ’n Toter. Erschossen. Er wurde von der Tür aus von hinten umgelegt. Der Mörder ist mit ’ner blauen Tin Lizzie abgehauen. Die Nummer lautet 69MR69.“

„Was?“, fragte Quincannon listig. Ich wusste natürlich, dass er den Begriffsstutzigen nur mimte, um etwas über meine Identität heraus zu holen. „Moment mal... Das muss ich mir aufschreiben. Wie war noch mal Ihr Name?“ 

„Kommen Sie, Sarge. Sie wissen doch, wie so was läuft. Ich hab Dreck am Stecken, deswegen kann ich meinen Namen nicht nennen. Aber ich hab den Mord gesehen, Mann. Glauben Sie mir. Im Café Chez Ed, all rightee?“ 

Ich machte einen Hasen, trat in den Regen hinaus, bog in eine Nebenstraße ein und ging zwei Blocks weiter in ein anderes „Café“. Hier saßen ein paar Arbeiter, tranken „Tee“ und zockten. Der Marsch durch den Regen hatte mich ernüchtert. Da ich die lokale Parole nicht kannte, zeigte ich auf die zockenden Arbeiter und bestellte das, „was die da haben“. Die Kellnerin, ein hübscher Käfer mit einem drallen Popo, die mich an Maggie erinnerte, brachte mir einen Tee mit Rum. Es schiffte noch immer vom Himmel herab.

Ich trank meinen „Tee“ und dachte über den toten Bernie nach. Damals in New York war er ein mit allen Wassern gewaschener Literaturagent gewesen.

Falls Sie nicht wissen, was Literaturagenten tun: Sie sind Manager für Schriftsteller, die kein kaufmännisches Talent haben, denn das sollte man haben, wenn man von den Hyänen aus der Verlags-, Film-, Rundfunk- und Theaterbranche nicht übern Tisch gezogen werden will. Gute Literaturagenten handeln für ihre Klienten beinharte Verträge aus und leiten zehn Prozent eines jeden eingenommenen Dollars in ihre eigene Tasche um.

Damals in New York hatte meine Freundin Angie das Glück gehabt, sich Bernie als Agenten an Land zu ziehen. Er hatte ihre erste zum Bestseller gewordene Liebesschnulze an Simon & Schuster und Übersetzungsrechte in siebenundzwanzig Länder verkauft. Angie war groß raus gekommen, und da sie auch noch verdammt gut aussah, hatte sie es sogar auf die Titelseiten von Illustrierten wie Harper’s Bazaar und Cosmopolitan geschafft. Angie verdankte ihren Reichtum zweifellos dem armen Säufer, den vor einer halben Stunde vor meinen Augen erschossen worden war. 

Was hatte Bernie in Chicago getrieben? Wer hatte Grund, einen armen Hund wie ihn mit drei Schüssen in den Hinterkopf zu erledigen?

Vielleicht sollte ich Angie mal fragen.

2.

 

Ich hatte Angela D’Addario seit 1923 nicht mehr gesehen.

D’Addario war natürlich nicht ihr richtiger Name: Wie die meisten Menschen (außer Johnny Weissmuller), die sich in den Kreisen der Oberen Zehntausend bewegen und Smith, Jones, Miller oder Brown heißen, schmückte auch sie sich mit einem Künstlernamen. Seit ihrem ersten Erfolgsroman, der Das falsche Spiel des schönen Grafen hieß, war sie mit einem auf beiden Seiten des Atlantiks tätigen französischen Verleger mit dem schönen Namen Jean-Claude Rimbaud liiert. In den Zwanzigerjahren Zeit wagte die Presse natürlich nicht anzudeuten, dass die beiden zusammen in die Kiste gingen. Der Franzmann war, wie man damals sagte, Angies „ständiger Begleiter“. 

Es war Jahre her, seit ich der törichten Vorstellung erlegen war, Angie zu lieben. Ich hatte aber nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass wir nicht für einander bestimmt waren: Die aus kleinen Verhältnissen stammende Angie hielt mich zwar aufgrund meines Berufes für eine romantische Gestalt, aber nach einigen Wochen war ihr klar geworden, dass ich einer Frau mit ihren Ambitionen nie das bieten konnte, was sie haben wollte: Kreuzfahrten, möglichst mit der eigenen Jacht, durch die Karibik, Besuche in Paris und Monte Carlo, Spielbank inklusive.

Ich hatte sie am frühen Morgen angerufen, aber nur ihre Sekretärin an die Strippe gekriegt.

„Miss D’Addario ist momentan auf einer Vernissage“, hatte die Sekretärin gesagt. „Sie ruft aber gewiss gleich an, um ihre Rückfahrt anzukündigen. Ich will sehen, was ich für Sie tun kann.“ Eine Stunde später hatte sie sich wieder gemeldet. „Miss D’Addario lässt Ihnen ausrichten, dass sie sich über Ihren Besuch sehr freut, Mr. Flynn.“