Heinz-Joachim Simon

Che

Der Traum des Guerillero

Roman

Es ist die Stunde der Weißglut
und es wird Licht zu sehen sein
.

José Martí

Kubanischer Revolutionär, 1853 – 1895

Jeden Tag im Leben in Feuer
zu verwandeln
.

Ernesto Guevara de la Serna, genannt Che
14.6.1928 – 9.10.1967

1. Buch
Der Auftrag

1

Auf dem Weg zu alten Träumen

Stimme kein Siegesgeheul an am sonnenlosen Tag der Schlacht. Er sagte es immer mit funkelnden Augen, aber so, dass man nicht wusste, ob er einen aufziehen wollte oder ob es eine Mahnung an sich selbst war, nicht zu früh zu frohlocken. Und vorsichtig zu sein, dafür gab es genug Gründe. Er, Che, hatte sich vorgenommen, die Welt zu verändern. Das war nun eine Aufgabe, die selbst titanische Kräfte überstieg, die den anderen funkelnden Stern, den Held der Antike, Alexander von Makedonien, auf den zweiten Platz verwies. Denn er, Che, wollte keine Länder erobern, sondern menschliche Seelen verwandeln. Nichts weniger. Deswegen murmelte er mit Recht die Zeilen von Gutierrez. Aber das fing erst in der Sierra Maestra an. In Córdoba, das argentinische und nicht das spanische, hatte er noch nicht diese Ansprüche. Doch dort fing es an, dass Marc Mahon und er sich auf derselben Umlaufbahn fanden.

Marc Mahon träumte von Ernesto, als der noch nicht Che hieß und mit dem er durch die Straßen von Córdoba lief, als sie sich noch wie Castor und Pollux verbunden wähnten und glaubten, in derselben Umlaufbahn der Zukunft entgegenzurasen, und nicht ahnten, dass die Sonne, der sie entgegenflogen, sie verbrennen konnte. Die Sonne steht hier für die Hoffnung, für den Glauben, dass sich der Mensch ändern könne, woran sich in den letzten siebentausend Jahren Schamanen, Priester, Gottessöhne und Götter selbst vergeblich versucht hatten.

Sie starteten also in Córdoba und waren siebzehn Jahre alt und ein buckliger Zwerg ohne Beine in einem Kastenwagen schrie ihnen Flüche hinterher. Dabei hatten sie, Ernesto und Marc Mahon, ihm helfen wollen, hatten ihn aus der Sonne in den Schatten der Arkaden gezogen. Aber der Zwerg wollte keine Hilfe. Damals nahm Ernesto solche Verweigerung noch hin, zuckte mit den Schultern, was bedeutete, dass man diesen Menschen in seiner Dummheit belassen sollte. Später akzeptierte er dies nicht mehr.

Marc Mahon fiel wieder in den Schlaf zurück. Diesmal war er in Kuba, nicht in Havanna, in der Sierra Maestra, die den Hauptstädtern so fremd war wie die Rückseite des Mondes. Die Batistasöldner kamen heran. Gleichmäßig tuckerte das Maschinengewehr. Grrrrr. Er wachte wieder auf. Nein, er kämpfte nicht mehr in den Bergen Kubas. Er war auch nicht in Córdoba. Benommen tastete er nach dem Telefon auf dem Nachttisch.

Er war in Paris im Frühjahr 1967 und war nun neununddreißig Jahre alt und hatte so viel erlebt, dass es ihn zum Zyniker gemacht hatte, während er, Che, den Glauben nicht einmal verlor, als der Mörder die Hütte betrat und schlotternd sein Gewehr auf ihn richtete. Selbst in Erwartung der tödlichen Kugel verlor er nicht den Glauben, dass der Sozialismus eines Tages siegen würde.

Marc Mahon befand sich in Paris und man bezeichnete ihn als Starjournalist, dessen Artikel in Paris Match, im Figaro, aber auch in The Guardian und der Times erschienen. Selbst die Amerikaner rissen sich um seine Berichte von den Brennpunkten der Welt. Washington Post, Time Magazine und andere nannten ihn stolz ihren Mitarbeiter. Er, der einmal dieselbe Umlaufbahn wie Che hatte, flog nun auf einer anderen Bahn und hatte dabei Karriere gemacht.

»Hm«, brummte er immer noch schlaftrunken in den Hörer.

»Spreche ich mit Marc Mahon? Hier ist Martinelli aus Rom.«

Marc sah auf die Uhr. Kurz nach drei. Warum um Gotteswillen rief man ihn mitten in der Nacht an?

»Wissen Sie, wie spät es ist?«, schnauzte er ins Telefon.

»Ich hatte heute eine Abendgesellschaft und jemand sagte, dass Sie Che Guevara besser als jeder andere kennen und sie sogar Freunde sind.«

»Schön, aber was zum Teufel wollen Sie von mir?«

»Ich bin Martinelli«, wiederholte der Anrufer.

Nun klickte etwas in seinem Kopf. Oh ja, er kannte den Namen. Jeder in seiner Branche kannte ihn. Martinelli, der Zeitungstycoon. Nur er konnte es sich erlauben, mitten in der Nacht jemanden aufzuscheuchen, sah er sie doch alle, die ganze Zeitungsbande, als seine Diener an, wenn nicht sogar das Wort »Sklaven« besser das Verhältnis ausdrückte. Er war nicht nur Herr über die italienischen Medien, sondern hatte sowohl deutsche als auch englische und sogar amerikanische Zeitungen in seine Gewalt gebracht. Jawohl, Gewalt, denn er bestimmte den Tenor der Zeitungen und war sich nicht zu fein, unangemeldet seine Verlage zu besuchen und von ihnen das Engagement einzufordern, das er selbst wie ein Getriebener von sich verlangte.

»Ich fühle mich geehrt, aber was wollen Sie von mir und hat das nicht Zeit bis morgen?«, wiederholte er, so andeutend, dass er nicht sein Knecht war, er ihm gleichwohl den Respekt nicht versagte.

»Das würde ich Ihnen gern persönlich sagen. Ich komme nach Paris. Wo können wir uns treffen?«

Was soll das?, fragte sich Marc Mahon. Er besitzt doch hier die größte Tageszeitung. Wo sollte man sich sonst treffen, wenn nicht dort, und er sagte ihm das.

»Nein. Nein. Ich habe nicht das Übliche mit Ihnen vor.«

»Na gut. Wie wäre es um zwanzig Uhr im Coupole? Wissen Sie, wo das ist?«

»Sagt mir der Taxifahrer. In Montparnasse, glaube ich.«

»Gut. Ciao.«

»Ach, Mahon, Ihr Buch über Robert Capa hat mir gefallen.«

»Schön, ich kann jeden Leser brauchen.«

»Ich werde mich mit Ihrem Verlag in Verbindung setzen und es in Italien herausbringen.«

Marc Mahon stutzte und lächelte erfreut. Das Gespräch gefiel ihm schon besser. Dafür war er gern geweckt worden. Sein Buch, eine Art »Non-fiction-novel«, wie Truman Capote es einmal ausgedrückt hatte, war bei einem kleinen Verlag erschienen, der nicht viel in Werbung investieren konnte, und so hielt sich die Auflage in Grenzen. Beim Martinelli-Verlag, der ganz andere Möglichkeiten hatte, konnte der Roman vielleicht zu Bestsellerhöhen aufsteigen.

»Tun Sie sich keinen Zwang an. Noch besser wären allerdings die USA, wo man richtig Geld machen kann.«

»Seien Sie nicht so maßlos wie Ihr Freund«, erwiderte Martinelli. »Hasta la vista, wie man auf Kuba sagt.«

Marc Mahon stieg aus dem Bett, zündete sich eine Gitanes an und ging ans Fenster. Unten, auf der Place de la Contrescarpe, plätscherte im funzligen Licht der Laternen der kleine Brunnen. Rechts ging die Rue Mouffetard ab, die mit ihren kleinen Läden einen fast dörflichen Charakter vermittelte. Es gibt Orte, die Glücksgefühle auslösen, dachte er. Dieser Ort, dieser Platz mit seinen Cafés und kleinen Läden, gehörte mit Sicherheit dazu. Dies war schon immer so gewesen. Noch lag der Platz verlassen da. Erst um elf Uhr am Vormittag würde er sich beleben. Dann würden Touristen die Cafés bevölkern und sich auf den Terrassen vor den Lokalen die Sonne ins Gesicht scheinen lassen.

Er dachte über den seltsamen Anruf nach. Martinelli war nicht nur mächtig, sondern pflegte eine politische Attitüde, gab sich als Anwalt des Volkes aus. Manche nannten ihn einen Salonbolschewisten. Auf jeden Fall war er eine außergewöhnliche Persönlichkeit.

Er war gespannt, was der Großverleger von ihm wollte. Marc Mahon war freier Journalist, was Risiken barg, da er nicht permanent Aufträge hatte. Aber da er zudem ein guter Fotograf war, konnte er Flauten mit seinen Fotos überbrücken. Er bewohnte die ganze Etage über dem Café La Contrescarpe. Die Tochter des Schreibwarenhändlers aus der Rue Mouffetard kümmerte sich halbtags um seine Schreibarbeiten. Ihre Eltern waren Pieds noirs, aber weitgehend integriert. Die Tochter konnte allerdings ihre maghrebinische Herkunft nicht verbergen, hatte sie doch das rassige Gesicht einer Berberin, lange lockige Haare, dunkle Augen und eine lange, leicht gebogene Nase. Ein Gesicht, das leidenschaftliches Temperament vermuten ließ. Und es bestand kein Zweifel, dass sie in ihren Arbeitgeber verliebt war, dem ihre unverhohlen gezeigten Besitzansprüche manchmal lästig wurden. Aber verzichten wollte er auch nicht auf sie, denn er gestand sich ein, dass er ihre verliebten Blicke aus den dunklen Augen genoss. Außerdem war sie als Faktotum für ihn unverzichtbar geworden. Neben der Schreibarbeit hatte sie sich zu einer guten Fotolaborantin entwickelt und nahm außerdem wie selbstverständlich die Rolle einer Haushälterin ein, indem sie dafür sorgte, dass die Wäsche in die Wäscherei kam und immer Lebensmittel in seinem Kühlschrank waren. Er nannte sie Roxane, was nicht ihr richtiger Name war, aber ihrem Aussehen entsprach. Ein Roman über Alexander den Großen hatte ihn zu diesem Namen inspiriert.

Marc Mahon war durch seine Größe jemand, der die Blicke auf sich zog. Dies und seine blonden Haare und blauen Augen führten dazu, dass seine Freunde ihn einen Teutonen nannten, was gar nicht so unberechtigt war, worüber er aber nie sprach. Wenn ihn jemand schildern sollte, dann nannte man immer sein mutwilliges Lachen, das ein paar Zahnreihen zeigte, die Zahnärzte um ihre Existenz fürchten ließ. Die Frauen erwähnten die blauen Augen und die Haartolle, die ihm ständig in die Stirn fiel. Zweifelsfrei war er links, wie jeder gerecht denkende Mensch, was auch sein Verhältnis zu Ernesto Guevara erleichtert hatte.

Er dachte an Córdoba, dort, am Ende der Welt, hatten sich ihre Sterne genähert. Sein Vater war ein deutscher Jude gewesen, der rechtzeitig geflüchtet war. Er hieß Anton Wasserstein und hatte in Argentinien einen anderen Namen angenommen. Es war der Einfall seiner Mutter, die aus Straßburg stammte, den Namen Mahon anzunehmen, der Name eines Generals und Präsidenten. Die Großmutter hatte in dessen Haus gedient und sprach nur lobend von der Großzügigkeit der Mahons. Seine Mutter war der Meinung, dass Namen das Leben erschweren oder erleichtern können und der Name Mahon ihrem Sohn ermöglichen würde, in der Welt zu bestehen. Sein Vater, ein ehemaliger Zeitungsfotograf, hatte in Córdoba ein Fotogeschäft eröffnet, so dass Marc schon frühzeitig mit der Fotografie in Berührung kam. Seine Mutter war auch schuld daran, dass er – nach seinem Kuba-Abenteuer - Paris zur Heimat erkor, denn sie hatte bereits in seiner Kindheit mit ihm Französisch gesprochen, so dass er die Sprache ohne Akzent beherrschte. Sie nannte Paris die einzige Stadt, die die Pforte zum Paradies sein könnte. Er studierte Journalistik, aber ohne Abschluss, stattdessen trieb er sich an den Brennpunkten der Welt herum, wo er einige Fotos schoss, die Aufmerksamkeit erregten. Als er feststellte, dass er auch im Schreiben nicht unbegabt war, verfasste er Storys, die seinen Ruf als hervorragenden Journalisten begründeten. Reichtümer hatte er deswegen nicht angesammelt, aber es ließ sich durchaus komfortabel leben.

Zur Entspannung und in der Pause zwischen zwei Aufträgen hatte er ein paar Kriminalromane veröffentlicht, die von Raymond Chandler und Dashiell Hammett beeinflusst waren, und sich gut verkauften, so dass er die Wohnung am Place de la Contrescarpe schließlich kaufen konnte. Sie war für Pariser Verhältnisse sehr groß. Sein Wohnzimmer war eine Bibliothek, seine Küche war so modern wie ein Raumschiff, sein Bad marmorgefliest und sein Fotolabor genügte Profiansprüchen. Das Schlafzimmer wies ein Bett auf, das sich auch für Zweisamkeiten prächtig geeignet hätte. Aber bei den Frauen hatte er es nicht zur Kontinuität geschafft, da er ständig in der Welt unterwegs war. Auf Roxanes glutäugige Blicke einzugehen, versagte er sich, da sie ihm gar zu besitzergreifend war. Seine derzeitige Flamme, eine Moderedakteurin, machte sich über ihn keine Illusionen. Sie war allerdings auch mehr an ihrer Karriere interessiert als an einer engen Bindung und nannte ihn einen »Stromer«, was sie aber nicht daran hinderte, zweimal in der Woche mit ihm zu schlafen. Seine Vorliebe für Fotografie hatte ihn schließlich dazu gebracht, über Robert Capa zu schreiben. Er fühlte sich ihm sehr seelenverwandt und er nannte es sein erstes seriöses Buch.

Marc Mahon öffnete das Fenster, warf die Zigarette hinaus und atmete tief durch. Er ging wieder ins Bett und löschte die Nachttischlampe. Wenn ein guter Auftrag winkt, so soll es mir recht sein, dachte er, denn er würde eine momentane Flaute beenden. Am Vortag hatte er sich mit Harry O’Hingsten im Select getroffen, ein irischer Kollege, der ihm vorschlug, einen Artikel über die IRA zu schreiben. Er könne ihm einen Kontakt zum öffentlichen Arm der Untergrundorganisation vermitteln. An sich war der Kampf der IRA gegen die bigotten Protestanten und Engländer kein schlechter Stoff, den er in ganz Europa loswerden konnte. Er hatte große Sympathie für die Iren, seit er James Joyce’ Ulysses gelesen hatte. Den Kampf der IRA und den Katholizismus mit dem ewigen Dulder Odysseus in Verbindung zu bringen, hatte schon seinen Reiz. Er hatte sich Bedenkzeit ausgebeten, da er noch an einem kleinen Roman arbeitete, der sich mit Picassos Minotaurusbildern auseinandersetzte. Als er den Kollegen fragte, warum er nicht den Artikel schreiben würde, hatte dieser in schöner Offenheit erklärt, dass er in Belfast lebe und nicht die Absicht habe umzuziehen. Sowohl die Protestanten als auch die Katholiken könnten sehr rachsüchtig sein.

Marc Mahon steckte sich eine neue Zigarette an und starrte an die Decke. Ihm fiel sein Traum wieder ein. Er hatte schon seit langem nicht mehr von Córdoba geträumt und auch nicht von Ernesto, nicht von Kuba und der Sierra Maestra, geschweige denn von Fidel. Was bedeutete der Spruch von Gutierrez: »Stimme kein Siegesgeheul an am sonnenlosen Tag der Schlacht«? Jedes Mal, wenn Ernesto seine Männer in die Schlacht führte, hatte Marc den Freund dies murmeln hören. Wollte er der eigenen Freude darüber Zügel anlegen? War es eine Warnung wie bei den Triumphzügen der alten Cäsaren: »Bedenke, dass du sterblich bist«? Che hatte viele gute Sprüche damals in der Sierra Maestra draufgehabt, aber es waren keine leeren Worte, sondern Glaubensbekenntnisse: »Schafft zwei, drei, viele Vietnam« war ein anderer, der später aus Tausenden von Kehlen in den Straßen der Metropolen gebrüllt wurde und die Herren Generäle und die Schlapphüte von der CIA zum Schwitzen brachte.

Den Nachmittag verbrachte Marc in der Bibliothek der Sorbonne, um sich über die Verhältnisse in Irland klug zu machen. Je mehr er darüber las, umso geringer wurde sein Wunsch den Auftrag anzunehmen. Wobei vielleicht auch das Wetter in Irland eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Marc Mahon mochte weder Regen und Wind noch Kälte. Er sympathisierte mit der IRA, mochte aber deren Methoden nicht. Selbst Joyce, dessen Ulysses er wieder und wieder gelesen hatte, verstärkte nicht den Wunsch, in den keltisch geprägten Katholizismus einzutauchen.

So war er für eine neue Kursbestimmung offen, als er das Coupole betrat. Der Maître des Halles gab ihm einen guten Tisch am Fenster. Er wartete also darauf, dass etwas passierte. Schließlich wusste er nicht, wie Martinelli aussah. Er bestellte einen Martini-Cocktail als Aperitif, der aber nicht so gut wie der in der Ritzbar war.

Jemand trat an seinen Tisch.

»Marc Mahon, nicht wahr?«

Ein korpulenter Mann, der gleichwohl nicht Gemütlichkeit, sondern Macht ausstrahlte. Das schüttere Haar hatte er straff nach hinten gekämmt. Er sah aus wie Rossellini, der Mann von Ingrid Bergman. Rosige Hängebacken, aber ein energisch vorgeschobenes Kinn mit einem Grübchen. Der Nadelstreifenanzug könnte mal wieder ein Bügeleisen vertragen. Ein Beweis dafür, dass er sich für so bedeutend hielt, dass er auf seine Kleidung nicht achten musste. In der Hand hielt er das Buch über Robert Capa. Marc Mahon wusste, dass in dem Buch ein einigermaßen aktuelles Foto von ihm war, an dem sich Martinelli orientiert haben mochte. Marc Mahon nickte. Der Verleger setzte sich interessiert um sich blickend zu ihm. »Nettes Lokal«, kommentierte er.

Der Garçon kam und auf Martinellis fragenden Blick bestellte Marc Mahon für beide Curry Coupole.

»Eine Spezialität des Hauses«, bekräftigte er seinen Vorschlag. Dazu bestellte er einen Bordeaux, den der Garçon empfahl.

»Er passt vorzüglich dazu«, lobte er seine Empfehlung.

»Also, was haben Sie mir vorzuschlagen?«, fragte Marc Mahon, als sie wieder allein waren.

»Sie sind tatsächlich mit Che Guevara befreundet gewesen?«

»Mehr noch. Ich war bei ihm, als er Santa Clara eroberte. Wir waren Freunde und Kampfgefährten. Eine nicht unkritische, aber gleichwohl fest begründete Freundschaft«, erwiderte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er Ernesto immer noch seinen Freund nennen konnte.

»Wie fing es an?«

»Wir haben uns in Córdoba kennengelernt. Eine Jugendfreundschaft. So begann es. Danach habe ich ihn in Mexiko wieder getroffen. Er begeisterte mich für Castros Revolution so sehr, dass ich mit ihm auf der Granma nach Kuba ging. Unsere beste Zeit hatten wir in der Sierra Maestra, als die Revolution noch unschuldig war. Als wir in Havanna einzogen, haben wir uns bald zerstritten.«

»Schreiben Sie ein Buch über Che. Deswegen bin ich hier.«

»Es gibt genug Bücher über Che.«

»Biografien. Schreiben Sie einen Roman über die Zeit mit ihm. Ich werde es als Fortsetzungsstory in meinen Zeitschriften bringen und danach machen wir ein Buch daraus. Für die Artikel bekommen Sie ein festes Gehalt mit einem großzügigen Spesenkonto. Für das Buch erhalten Sie fünfundzwanzig Prozent vom Ladenpreis. Für mich bleibt da nicht viel übrig. Das Projekt könnte aber ein Aushängeschild für meinen Verlag sein.«

Marc Mahon musste schlucken, das war ein Traumangebot. Aber dann wurde er doch argwöhnisch. Verleger verschenken kein Geld. Warum ein so großzügiges Angebot? Wo war der Haken bei diesem Vorschlag?

»Warum interessiert Guevara Ihren Verlag, der doch in Kuba an Einfluss verloren hat?«

Martinelli schmunzelte.

Ein Kellner, in der Tracht eines indischen Prinzen, zelebrierte das Curry Coupole. Sie beobachteten ihn schweigend. Seine bedächtigen, feierlichen Bewegungen erinnerten Marc Mahon an das Restaurant Alfredo in Rom, wo der Kellner mit fast genau solchen theatralischen Bewegungen Fettucine Alfredo aus einem großen Topf auf die Teller legte, als würde er das Abendmahl zelebrieren. Die Fettucine Alfredo waren eine herbe Enttäuschung gewesen.

»Eine gute Show ist alles!«, kommentierte Martinelli. Als er davon gegessen hatte, nickte er. »Eine gute Empfehlung. Ich habe noch nie ein so gutes Curry gegessen.«

»Also, Karten auf den Tisch!«, forderte Marc Mahon den Verleger auf.

»Che ist verschwunden. Es hieß, dass er sich zur Zuckerrohrernte verabschiedet hat. Aber nach unseren Informationen ist er nicht mehr auf Kuba. Er soll sich mit Fidel Castro zerstritten haben.«

»Na und? Welche Rolle spiele ich dabei?«

»Ich bin davon überzeugt, dass er an einem neuen Vietnam bastelt. Sie sollen ihn für mich finden und darüber berichten, in welcher Situation er sich befindet. Ich bin mir sicher, dass er dabei ist, ein Focus in irgendeinem Land der dritten Welt zu organisieren, also seinen Erfolg auf Kuba zu wiederholen. Es wird der Einstiegsknüller in unsere Artikelserie sein.«

»Hört sich gut an«, stimmte Marc Mahon zu und dachte: Und schön wäre es, den alten Freund wieder in die Arme schließen zu können.

»Was für ein Mensch ist Che?«

»Er ist – ich weiß, es hört sich verstiegen an – der reinste Mensch, dem ich je begegnet bin.«

»Ein reiner Mensch? Ein Revolutionär, der viele Menschen auf dem Gewissen hat, soll ein reiner Mensch sein? Es hört sich tatsächlich verstiegen an. Das ist die Ansicht eines schwärmerisch veranlagten Freundes. So habe ich Sie eigentlich nicht eingeschätzt.«

»Dies sage nicht nur ich, sondern viele, die ihn gut kennen. Er verkörpert den neuen Menschen, der eigentlich erst im Kommunismus erschaffen werden soll.«

»Schwiemelei! Den neuen Menschen wird es nie geben. Der alte Adam hat sich seit der Steinzeit nicht sehr verändert. Er wird gierig bleiben, wird seinem Nachbarn den Besitz neiden, wird ein Mörder sein. Er hat die Keule nur gegen Schnellfeuergewehre ausgetauscht. Und was ist mit den Erschießungen in der Festung La Cabaña? War Che auch dort ein reiner Mensch?«

»Er tat es, weil er es für die Revolution für richtig hielt«, verteidigte er den Freund wider besseres Wissen.

»Mir fallen dazu Robespierre und Saint Just ein.«

»Robespierre liebte man nicht, sondern fürchtete ihn. Che lieben alle, die ihn näher kennen. Fragen Sie die, die unter ihm gekämpft haben. Auch Sartre und die Beauvoir hat er beeindruckt.«

»Na gut. Wir werden sehen, ob Sie diese ›Melodie‹ in den Artikeln durchhalten können. Beginnen Sie mit Ihrer ersten Begegnung in Córdoba. Sie bekommen ein Spesenkonto, das Ihnen erlaubt, nach Córdoba, Kuba oder was weiß ich sonst wohin fliegen zu können. Vielleicht fangen Sie in Córdoba an und erfahren von seinen Verwandten, wo er ist. Dann machen Sie weiter, egal wo er ein zweites Vietnam anzetteln will. Und wenn er tatsächlich tot ist, wie auch schon kolportiert wird, dann finden Sie sein Grab. Das gibt auch eine schöne Story.«

»Das mit Ches Tod ist Unsinn. So etwas wäre längst bekannt geworden. Seinen Tod kann man nicht unter der Decke halten. Ich würde es zudem spüren. Sein Leben wäre dann ein unvollendetes Lied.«

»Lassen wir die Heldenverehrung.«

Martinelli griff in die Anzugjacke, die verbeult an ihm herunterhing, holte ein Scheckbuch hervor, schrieb mit energischen Bewegungen den Scheck aus und schob ihn über den Tisch. Es war der großzügigste Vorschuss, den Marc Mahon je erhalten hatte.

»Wenn Sie mehr brauchen, melden Sie sich.«

Er hob die Hand und schnippte mit den Fingern. Der Garçon eilte sofort an ihren Tisch.

»Bringen Sie mir Briefpapier.«

Marc Mahon sah dem Verleger amüsiert zu. Martinelli nahm den Briefbogen vom Coupole, schrieb ein paar Zeilen, unterschrieb und reichte ihm das Papier.

»Der Vertrag über Ihr Che-Buch mit den versprochenen Konditionen. Unterschreiben Sie und Sie sind Korrespondent von Epoca und Autor des Leonardoverlages.«

Marc überflog die Zeilen und unterschrieb.

»Gut. Ich fliege Ende der Woche nach Buenos Aires.«

»Nein. Sie fliegen morgen. Gehen Sie gleich an die Arbeit. Sie sind jetzt ein Martinelli-Mann!«

Worauf hast du dich da eingelassen, fragte er sich. Macht dich der Vertrag zu seinem Sklaven? Schon aus Prinzip widersprach er.

»Geht nicht. Ich muss einiges ordnen. Ich fliege Ende der Woche. Ich muss auch Aleida und einige Freunde Ches auf meinen Besuch vorbereiten. Ich kann dort nicht ohne Vorankündigung reinschneien.«

»Wer ist Aleida?«

»Ches Frau.«

»Ach, richtig. Er ist verheiratet.«

Martinelli, der Mahon durchaus richtig einschätzte, gab nach. Er erkannte, dass er diesen nicht zwingen konnte, wenn er ihn bei guter Stimmung halten wollte. Der Kerl hat einen Arsch in der Hose, stellte er durchaus zufrieden fest. Jemand, den Che als Freund akzeptierte, musste ein richtiger Mann sein. Gut so, dass er nicht klein beigab, sondern ihm Widerstand leistete. Er schätzte einen eigenen Willen durchaus, aber nicht bei jedem und nicht sehr oft.

»Haben Sie damals an den Kämpfen in der Sierra Maestra teilgenommen?«

»Ich fuhr nicht als Journalist auf der Granma«, bestätigte Marc Mahon.

»Das geht diesmal natürlich nicht. Wir können nicht die Berichte eines Kombattanten veröffentlichen. Sie halten sich schön aus den Kämpfen raus, wo immer Che sein zweites Vietnam probt.«

Marc Mahon nickte vage. Natürlich musste Martinelli sagen, dass er sich raushalten sollte, aber er bezweifelte, ob sich dies einhalten ließ. Er wusste ja nicht, in welcher Situation er Che vorfinden würde. Er musste sofort damit anfangen, sich in Form zu bringen. Dort, wo er Ernesto finden würde, musste man eine gute Kondition haben. Er bewunderte den Freund, der schwer asthmakrank war und dennoch Strapazen auf sich nahm, die gesunde, austrainierte Männer nicht durchhielten. Schon in der Sierra Maestra hatte er seine Krankheit allein durch den Willen bezwungen, aber mittlerweile war er zehn Jahre älter geworden.

»Sie melden sich jede Woche bei mir, damit ich weiß, wie es um Sie und Che steht.«

Marc Mahon lächelte überlegen, fast höhnisch. So konnte nur jemand reden, der keine Ahnung vom Guerillakampf hatte.

»Das wird nicht immer möglich sein«, widersprach er.

»Warum nicht?«

»Weil dort, wo Che ist, alles dem Kampf untergeordnet wird.«

»Aha«, sagte Martinelli unzufrieden.

Er hat keinen Schimmer, wie es dort ist, wo Che sein mochte. Was für ein Penner. Aber zahlen tat er wirklich gut.

»Das Curry Coupole war vorzüglich. Dann will ich mal. Ich höre in einer Woche von Ihnen, wo immer Sie auch sind.« Er erhob sich. »Zahlen tun Sie. Ich habe mir für Sie genug Geld aus den Rippen geschnitten.«

Marc sah dem Verleger nach, der ohne nach rechts oder links zu blicken das Coupole verließ. Seine Geschäftspartner kann man sich nicht immer aussuchen, schickte er ihm als Ergebnis der Besprechung hinterher. Geldsorgen würde er jedenfalls in nächster Zeit nicht haben.