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HANDBUCH DER ÖKUMENE UND KONFESSIONSKUNDE

Herausgegeben vom
Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik, Paderborn

Band 1

Johannes Oeldemann (Hg.)

KONFESSIONSKUNDE

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlaggrafik: Christian Knaak, Dortmund

© 2015 by Bonifatius GmbH Druck • Buch • Verlag Paderborn
und Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-89710-572-0 (Bonifatius)

ISBN 978-3-374-03803-9 (Evangelische Verlagsanstalt)

eISBN 978-3-897-10745-8

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in elektronische Systeme.

Gesamtherstellung:
Bonifatius GmbH Druck • Buch • Verlag Paderborn

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

Wolfgang Thönissen

KAPITEL 1

DIE KATHOLISCHE KIRCHE

Johannes Oeldemann

1.Gegenwart

2.Geschichte

3.Glaube

4.Kirchliches Leben

5.Ökumene

KAPITEL 2

DIE ORTHODOXE KIRCHE UND DIE ORIENTALISCH-ORTHODOXEN KIRCHEN

Ioan Moga

1.Die Orthodoxe Kirche

2.Assyrische Kirche des Ostens

3.Orientalisch-Orthodoxe Kirchen

KAPITEL 3

DIE ANGLIKANISCHEN KIRCHEN

Paul Avis

1.Die Kirche von England

2.Die Anglikanische Kirchengemeinschaft

3.Die anglikanischen Kirchen in der Ökumene

4.Spannungen in der Gemeinschaft und der beabsichtigte Anglikanische Bund

KAPITEL 4

DIE EVANGELISCHEN LANDESKIRCHEN

Oliver Schuegraf

1.Die lutherischen Kirchen

2.Die reformierten Kirchen

3.Unierte Kirchen

4.Innerevangelische Verständigung und gemeinsame Strukturen in Deutschland

5.Grundlinien evangelischen Glaubens und evangelischer Lehre

6.Kirchliches Leben

7.Ökumenische Beziehungen

KAPITEL 5

DIE ALTKONFESSIONELLEN KIRCHEN

Adrian Suter, Werner Klän, Gerrit Jan Beuker

1.Altkatholische Kirchen (Adrian Suter)

2.Altlutherische Kirchen (Werner Klän)

3.Altreformierte Kirchen (Gerrit Jan Beuker)

KAPITEL 6

DIE EVANGELISCHEN FREIKIRCHEN

Markus Iff

1.Begriff, Wurzeln und Grundlagen, Vereinigung evangelischer Freikirchen

2.Mennoniten

3.Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten)

4.Freie evangelische Gemeinden

5.Evangelische Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeine

6.Methodisten

7.Heilsarmee

8.Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker)

9.Mülheimer Verband Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden

10. Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden

11. Siebenten-Tags-Adventisten

12. Apostolische Bewegung, Apostolische Gemeinschaft und „Apostelamt Jesu Christi“

13. Weitere Freikirchen

KAPITEL 7

DIE CHARISMATISCHE BEWEGUNG: KONFESSIONELLE, NICHTKONFESSIONELLE UND NEOCHARISMATISCHE GEMEINSCHAFTEN

Hans Gasper

1.Einleitung, Begriff, Vorgeschichte

2.Die Charismatische Erneuerung in den Traditionskirchen

3.Nichtkonfessionelle Gemeinden und Gemeinschaften

4.Die „Dritte Welle“ des Heiligen Geistes, Neocharismatiker und weitere Entwicklungen

5.Wesensmerkmale der Charismatischen Bewegung

6.Häufig gestellte Fragen: Fundamentalismus – Ökumene

NACHWORT

Johannes Oeldemann

AUTORENVERZEICHNIS

VORWORT

Wer mehr als 100 Jahre nach Entstehung der ersten ökumenischen Organisationen und mehr als 60 Jahre nach Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam über den Weg der ökumenischen Bewegung nachdenkt, kann nicht umhin anzuerkennen, dass der ökumenische Dialog seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und besonders nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil das Leben der Kirchen weltweit wie kaum eine andere religiöse Bewegung im 20. Jahrhundert nachhaltig bestimmt hat. Das 20. Jahrhundert ist in der Tat ein Jahrhundert der Ökumene geworden. Das gemeinsame Gebet für die Einheit der Christen, das gemeinsame Reflektieren des Glaubens in den theologischen Dialogen und der gemeinsame Einsatz für die elementaren Fragen der Menschen und ihres Zusammenlebens in der Welt zeugen von der überwältigenden Kraft der ökumenischen Bewegung. Der ökumenische Dialog hat zu einer Fülle von Dokumenten wachsender Übereinstimmung geführt. Die von den europäischen Kirchen unterzeichnete Charta Oecumenica, die von vielen Kirchen ausgesprochene wechselseitige Anerkennung der Taufe und die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 zwischen dem Lutherischen Weltbund und der römischkatholischen Kirche sind herausragende Früchte dieses Dialogs. Die christlichen Kirchen und Gemeinschaften sind auf dem Weg zu einer sichtbaren Einheit im Glauben. Wenn auch niemand den Zeitpunkt kennt, an dem Christen weltweit wieder gemeinsam das Abendmahl und die Eucharistie miteinander teilen werden, die Hoffnung auf Wiederherstellung der sichtbaren Einheit unter den Christen hat sich nicht als illusionär erwiesen. Der Eindruck, dass die Spaltung der Christenheit nicht bis in die Wurzel des gemeinsamen Erbes gedrungen ist, hat sich auch theologisch bestätigt.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts drängt sich jedoch eine ganz andere Einsicht auf. Die von unzähligen Dialogkommissionen erstellten ökumenischen Konsensdokumente werden von den Kirchen nicht rezipiert. Die Ergebnisse dieser Dialoge werden von vielen als Kompromissformeln eingeschätzt. Überkommene konfessionelle Positionen bestimmen weiterhin das eigene Selbstverständnis. Es gibt immer noch keine gemeinsamen Abendmahlsfeiern zwischen evangelischen und katholischen Christen. Die Kirchen haben sich noch immer nicht als solche gegenseitig anerkannt. Ökumenische Einmütigkeit hat sich trotz zum Teil beträchtlicher theologischer Übereinstimmungen nicht eingestellt. Es scheint, dass die Christen immer weiter auseinanderdriften. Das Ziel der sichtbaren Einheit, in vielen Dialogen intensiv beschworen, scheint aus dem Blickfeld geraten zu sein. Die Suche nach der sichtbaren Einheit scheint wieder eine offene Frage zu sein. Die Pluralität der Kirchen ist eher Anlass zur Wertschätzung statt Grund zur Besorgnis geworden. Hat sich der ökumenische Impuls erschöpft?

Mehr und mehr scheint sich zu bestätigen, dass die Christenheit allmählich aus dem Zeitalter der Ökumene in eine ganz andere, neue Epoche der Menschheit übergeht. Das dritte Jahrtausend bringt neue Probleme mit sich: einen weltweiten, islamisch geprägten Terrorismus, der sich gegen Christen wendet, Auseinandersetzungen und Kriege in Irak, Afghanistan und im Nahen Osten, die auch die Christen in anderen Erdteilen nicht loslassen. Klimaveränderungen beeinträchtigen die Lebensgrundlagen der Menschheit. Die weltweite Finanzkrise hat die Staaten und Gesellschaften fest im Griff. Die Folgen sind nicht überwunden. Nationen und Völker greifen auf hergebrachte politische Mechanismen zurück, um mit allen Mitteln Einfluss und Macht zurückzugewinnen. Angesichts dieser modernen Herausforderungen kann man durchaus den Eindruck gewinnen, die ökumenische Bewegung sei überflüssig geworden. Die Christenheit im 21. Jahrhundert habe andere Sorgen. Aber ist die Ökumene wirklich am Ende? Brauchen wir nicht doch mehr denn je neue, sichtbare Zeichen der Einheit unter den Christen?

Eine nüchterne Analyse der Fakten zeigt: Nach wie vor gestalten in Deutschland und anderswo evangelische, katholische, orthodoxe und freikirchliche Gemeinden gemeinsame Gottesdienste, Andachten, Gebetszeiten, Wallfahrten und andere Veranstaltungen. Regelmäßig gibt es große ökumenische Konferenzen und Tagungen, in denen Christen sich der gemeinsamen Aufgabe versichern. Kirchen sprechen sich für die strikte Einhaltung des Sonntagsschutzes aus. Christen setzen sich gemeinsam für Asylbewerber ein. Sie protestieren gemeinsam gegen Krieg und andere militärische Auseinandersetzungen und setzen sich für einen gerechten Frieden ein. Gemeinsam lesen sie die Heilige Schrift. In vielen Jahren unermüdlicher theologischer Diskussion konnten Theologinnen und Theologen aufzeigen, dass viele der gegenseitigen Verurteilungen in der Lehre und im Bekenntnis der Kirchen nicht mehr aufrechterhalten werden müssen. Evangelische und katholische Christen bemühen sich um ein gemeinsames Gedächtnis der Reformation. Orthodoxe und katholische Gläubige stärken sich gegenseitig in ihrer bedrängten Situation im Nahen und Mittleren Osten. Freikirchliche und katholische Theologinnen und Theologen suchen gemeinsam nach authentischen Formen der Verkündigung des Evangeliums in der zeitgenössischen Gesellschaft. In vielen Bereichen haben Christen eine grundlegende Übereinstimmung erzielt: in Fragen des Glaubens, in Formen des Gebetes, in der Praxis des Miteinanders. Doch es gibt auch noch einige Bereiche, in denen nach wie vor bestimmte konfessionelle Denkmuster erkennbar sind: im Zugang zur Geschichte der Kirche, im Verständnis der Kirche und des kirchlichen Amtes, in der Ethik.

Die ökumenische Aufgabe hat sich nicht erledigt. Damit hat sich auch die Aufgabe nicht erledigt, über den Weg der Ökumene, über die Spaltungen und über die Einheit der Kirche Jesu Christi nachzudenken und zu reflektieren. Die Bemühungen um die Wiederherstellung der Einheit unter den Christen, wie das Zweite Vatikanische Konzil das ökumenische Anliegen formuliert hat, sind nicht überflüssig geworden. In diesem Bewusstsein macht sich das Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn auf den Weg, ein neues Handbuch der Ökumene herauszubringen. Seit seiner Gründung im Jahr 1957 weiß es sich dem Auftrag verpflichtet, den ökumenischen Gedanken innerhalb der katholischen Kirche zu verbreiten und den Dialog mit den nichtkatholischen Partnern zu führen. Diesem Auftrag diente auch das erste, Mitte der 1980er-Jahre vom Möhler-Institut publizierte „Handbuch der Ökumenik“, dem sich das neue, mit diesem Band begonnene „Handbuch der Ökumene und Konfessionskunde“ in vielem verpflichtet weiß. Dennoch ist dieses neue Handbuch der Ökumene keine überarbeitete Fassung des ersten Handbuchs, sondern eine Neukonzeption. Eine Neuerung wird bereits mit diesem ersten Band deutlich: Das neue Handbuch beginnt mit der Konfessionskunde. Die zuvor in einem eigenen Band publizierte „Kleine Konfessionskunde“ wird damit erweitert und in den Gesamtzusammenhang des ökumenischen Dialogs integriert.

Die einzelnen Bände des neuen „Handbuchs der Ökumene und Konfessionskunde“ werden jeweils von einem der Direktoren des Möhler-Instituts als Herausgeber verantwortet. Das ganze Werk ist eine Gemeinschaftsaufgabe des Instituts. Dankbar ist das Institut über die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, die es gewinnen konnte, an diesem umfangreichen Publikationsprojekt mitzuwirken. Das trifft insbesondere für die Konfessionskunde zu, die sich zu einem unentbehrlichen Teil der ökumenischen Theologie entwickelt hat. Der Neuansatz zeigt sich hier an der Tatsache, dass nicht mehr aus katholischer Perspektive über die Kirchen und Konfessionen informiert wird, mit denen die katholische Kirche im Gespräch ist, sondern dass Autoren aus den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften diese in Selbstdarstellungen beschreiben. So wird eine authentische Sicht der heutigen konfessionellen Landschaft vermittelt. Die einzelnen Beiträge der Konfessionskunde informieren, ausgehend von der Gegenwartslage und einer kurzen Beschreibung der Geschichte, über wesentliche Grundzüge des Glaubens und prägende Elemente des kirchlichen Lebens der verschiedenen Konfessionsfamilien, bevor sie abschließend jeweils auf deren Engagement in der Ökumene eingehen.1 In der Zusammenschau der verschiedenen Perspektiven wird dabei deutlich, vor welchen Herausforderungen der Dialog zwischen den Konfessionen in den nächsten Jahren steht, aber auch, welche Chancen darin für das gemeinsame Zeugnis der Christen liegen.

Die mit diesem Band begonnene Gemeinschaftsarbeit soll auch in den nächsten Bänden fortgesetzt werden. Band 2 des Handbuchs wird die Geschichte der Spaltungen und der Bemühungen um die Suche nach der Einheit der Kirche beleuchten. Darüber hinaus präsentiert er die Prinzipien und Grundlagen der Ökumene aus katholischer Sicht, die im Wesentlichen den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils entnommen werden. So wird erkennbar, dass die ökumenischen Bemühungen der katholischen Kirche unverzichtbar und zu einem Ausdruck des Katholischen selbst geworden sind. Band 3 widmet sich der ökumenischen Hermeneutik und greift die im ökumenischen Dialog erörterten kontroverstheologischen Fragen auf, um in den systematisch-theologischen Themenkreisen den Stand des ökumenischen Dialogs zu dokumentieren, zu analysieren und zu kommentieren. Band 4 des Handbuchs gibt schließlich der Beschreibung und Darstellung der ökumenischen Praxis breiten Raum. Ausgehend vom geistlichen Ökumenismus und der ökumenischen Zusammenarbeit in der Seelsorge werden dabei die Bedeutung der ökumenischen Bildung, die Rolle der vielfältigen ökumenischen Strukturen und Instanzen sowie die verschiedenen Bereiche beschrieben, in denen Christen heute gemeinsam vor der Welt Zeugnis für ihren Glauben geben.

Ich bin den Kollegen und den Autoren sehr zu Dank verpflichtet, die sich an diesem gemeinsamen Werk des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik beteiligen. Ich wünsche dem Handbuch der Ökumene und Konfessionskunde eine große Verbreitung, in der Hoffnung, dass es die Erwartungen erfüllt, die mit der ökumenischen Aufgabe der Kirche Jesu Christi verbunden sind: „Ut omnes unum sint …“

Ostern 2015

Wolfgang Thönissen

1 Alle Beiträge enthalten zudem Hinweise auf Literatur zur Vertiefung sowie Weblinks, unter denen sich weitere Informationen finden. In den Anmerkungen verweisen Kurztitel auf die im Literaturverzeichnis am Ende des Beitrags aufgeführten Werke.

KAPITEL 1

DIE KATHOLISCHE KIRCHE

Johannes Oeldemann

Wenn im deutschsprachigen Raum von der katholischen Kirche die Rede ist, denken die meisten Menschen an die „römisch-katholische Kirche“, also an jene Glaubensgemeinschaft, zu deren Identitätsmerkmalen die Verbundenheit mit dem Bischof von Rom zählt. Aus Sicht der säkularen Gesellschaft und der Medien ist der Papst ohne Zweifel die „Stimme“ oder das „Gesicht“ der katholischen Kirche und prägt daher ihre Wahrnehmung im außerkirchlichen Bereich. Dennoch denken viele Katholiken, wenn sie über „ihre“ Kirche sprechen, nicht zuerst an den Papst im fernen Rom, sondern eher an ihre Heimatgemeinde oder vielleicht an die Diözese, zu der diese Gemeinde gehört.

Wenn man katholische Christen fragt, was ihr Katholischsein ausmacht, dann werden sie – bei allen Nuancen im Detail – in der Regel drei wesentliche Aspekte nennen, an denen sich ihre katholische Identität festmacht: An erster Stelle dürften bestimmte Gottesdienstformen stehen, die durch das Hineinwachsen in die Gemeinde vertraut sind (die sonntägliche Eucharistiefeier, Erstkommunion und Firmung als bewusst gefeierte Initiationssakramente, Kreuzweg und Fronleichnamsprozession als verbreitete Formen der Wallfahrt); an zweiter Stelle steht das Bewusstsein, seinen Glauben mit einer weltweiten Glaubensgemeinschaft zu teilen (was sich besonders bei Reisen zeigt, bei denen ein Katholik sich praktisch in jedem Land der Erde heimisch fühlen kann, weil der Sonntagsgottesdienst derselben Grundstruktur folgt, was aber auch durch die Weltjugendtage oder Partnerschaften mit Gemeinden auf anderen Kontinenten im Bewusstsein der Gläubigen verankert ist); schließlich, aber für die meisten Katholiken wohl erst an dritter Stelle, spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass der Papst in Rom ein gemeinsamer Bezugspunkt für alle Katholiken weltweit ist (was durch seine Rolle bei Bischofsernennungen zum Ausdruck kommt, für die Gläubigen aber primär durch den an Ostern und Weihnachten gespendeten Segen „urbi et orbi“, Pilgerreisen nach Rom sowie die aufmerksam verfolgte Papstwahl erfahrbar wird und erst sekundär durch Lehrschreiben des Papstes und Verlautbarungen der päpstlichen Kurie). Die Feier der Liturgie, der weltkirchliche Horizont und die Verbundenheit mit dem Papstamt zählen somit zu den identitätsstiftenden Merkmalen der katholischen Kirche.

Bevor wir näher auf die Bedeutung dieser drei Aspekte eingehen, muss zunächst noch die Frage geklärt werden, was mit dem Begriff „katholisch“ gemeint ist. Wenn Katholiken sich im Apostolischen Glaubensbekenntnis zur „heiligen katholischen Kirche“ bekennen, ist damit nicht die römischkatholische Kirche im Sinne einer konfessionell bestimmten Glaubensgemeinschaft gemeint, sondern die „allumfassende“ Kirche Jesu Christi – die „Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten“, wie es der Ökumenische Rat der Kirchen einmal umschrieben hat. Das griechische Wort „katholikos“ bezeichnet den Anspruch der Kirche, „für alle“ da zu sein, und steht für die Gemeinschaft „mit allen“, die an Christus glauben. Die Katholizität der Kirche gründet im umfassenden Heilswillen Gottes, der die ganze Menschheit in Christus mit sich versöhnen und dadurch die Gemeinschaft aller mit Christus und untereinander begründen will. Der Begriff „katholisch“ hat also sowohl eine qualitative Bedeutung (im Blick auf die von Gott in Christus angebotene Fülle des Heils) als auch eine geografische Bedeutung (im Blick auf die universale Sendung der Kirche). Weil es schwierig ist, beide Bedeutungsebenen mit einem deutschen Begriff adäquat wiederzugeben, verwenden Katholiken in Deutschland im Glaubensbekenntnis das Wort „katholisch“. Das ist aber nur dann legitim, wenn den Gläubigen zugleich katechetisch nahegebracht wird, dass damit keine Konfessionsbezeichnung gemeint ist.

Die Verwendung des Wortes „katholisch“ im Sinne einer Konfessionsbezeichnung ist eine konfessionelle Engführung des Begriffs, die sich nur auf dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung (s. u.: Abschnitt 2) erklären lässt. Im Zuge dieser Entwicklung wurde die „katholische Kirche“ immer mehr mit der „römischen Kirche“ gleichgesetzt. Dass damit zugleich den anderen christlichen Kirchen ihre „Katholizität“ abgesprochen wurde, ist eine Tatsache, die erst im Zuge der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert problematisiert wurde. Heute sprechen wir von der römisch-katholischen Kirche als einer der großen Konfessionsfamilien, wobei Katholiken davon überzeugt sind, dass die Kirche Jesu Christi in ihr gegenwärtig ist und eine konkrete geschichtliche Gestalt gefunden hat. Diesen Anspruch erheben allerdings auch die anderen Konfessionen. Was das für die Verhältnisbestimmung zwischen der katholischen Kirche und den anderen christlichen Kirchen bedeutet, wird noch zu bedenken sein (s. u.: Abschnitt 3). Aus katholischer Sicht besteht jedenfalls ein unlösbarer Zusammenhang zwischen der im Glaubensbekenntnis bekannten Katholizität der Kirche und der konkreten Sozialgestalt der römisch-katholischen Kirche.

In ihrer konkreten Sozialgestalt umfasst die katholische Kirche nicht nur die Katholiken des lateinischen (westlichen) Ritus, sondern auch Katholiken, die in den (mit Rom) „unierten Ostkirchen“ verschiedenen östlichen Ritusfamilien angehören. Dies führt uns zu einer weiteren begrifflichen Differenzierung: Mit „römisch-katholisch“ werden im Folgenden die Katholiken bezeichnet, die dem westlichen (lateinischen, von der römischen Liturgie geprägten) Ritus folgen. Das Wort „griechisch-katholisch“ bezeichnet die katholischen Ostkirchen, die dem griechisch-byzantinischen Ritus angehören. Unter dem Begriff „orientalisch-katholisch“ werden schließlich die katholischen Ostkirchen zusammengefasst, die aus den verschiedenen orientalischen Ritusfamilien (äthiopisch, armenisch, koptisch, ostsyrisch, westsyrisch) hervorgegangen sind. Diese innerkatholische Vielfalt ist vielen Christen – auch den meisten Katholiken – in Deutschland kaum bekannt. Daher beginnt der Überblick über die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche mit einem Überblick über die weltweite Verbreitung, bevor anschließend die kirchlichen Strukturen im deutschsprachigen Bereich beschrieben werden.

1.GEGENWART

Weltweit stellen die Katholiken mit ca. 1,23 Milliarden Gläubigen (Stand: 2014) die größte christliche Konfessionsfamilie dar. Die römisch-katholische Kirche, die alle Katholiken des lateinischen Ritus umfasst, ist heute eine „Weltkirche“, der ca. 1,21 Milliarden Gläubige auf allen Kontinenten angehören. Sie ist untergliedert in mehr als 3.000 Diözesen, die jeweils von einem Bischof geleitet werden. Verbindende Elemente sind die Glaubenslehre der katholischen Kirche (s. u.: Abschnitt 3) und der römische bzw. lateinische Ritus, der eine einheitliche Grundstruktur der Gottesdienste und sakramentalen Feiern gewährleistet, obwohl die Liturgiesprache heute in der Regel die Landessprache ist. Daneben gibt es eine große Vielfalt in den Formen der Verkündigung, der Glaubensvermittlung, des diakonisch-karitativen Engagements und der Präsenz in der Gesellschaft.

Trotz dieser innerkirchlichen Vielfalt hat die römisch-katholische Kirche es verstanden, ihre Einheit weitgehend zu bewahren. Eine besondere, einheitsstiftende Kraft kommt dabei dem Bischof von Rom zu, der als Papst an der Spitze des Bischofskollegiums der katholischen Kirche steht und damit die Kirche in und gegenüber der Welt repräsentiert. Die geschichtlich gewachsene Bedeutung des Papsttums (s. u.: Abschnitt 2) wurde im 20. Jahrhundert durch die Globalisierung und die Fixierung der Medien auf wenige Führungspersönlichkeiten noch einmal verstärkt. Auch wenn die Stimme des Papstes heute praktisch weltweit gehört werden kann, wird das konkrete Glaubensleben weiterhin meistens durch den Pfarrer vor Ort (weltweit gibt es mehr als 414.000 katholische Priester) bzw. den Ortsbischof (weltweit gibt es ca. 5.100 katholische Bischöfe) geprägt. Eine wichtige Rolle spielen in der katholischen Kirche neben den Pfarreien und Diözesen auch die Ordensgemeinschaften: Weltweit gibt es ca. 134.000 Ordenspriester, ca. 55.000 Ordensbrüder (männliche Ordensangehörige, die nicht die Priesterweihe empfangen haben) sowie ca. 700.000 Ordensschwestern. Auch Laien wirken in vielen katholischen Diözesen in der Seelsorge mit – größtenteils als ehrenamtliche Katechetinnen und Katecheten (weltweit gut drei Millionen), im deutschsprachigen Raum auch als hauptamtliche Pastoral- oder Gemeindereferentinnen und -referenten.

Überblick: Die römisch-katholische Kirche weltweit

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In Europa liegt der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung bei knapp 40 % mit großen, historisch bedingten Unterschieden von Land zu Land. So zählen die Katholiken in Italien, Polen und Spanien auch heute noch jeweils über 90 % der Bevölkerung. In Frankreich, Irland, Litauen, der Slowakei und Slowenien sind um die 75 % der Bewohner katholisch. Dagegen beträgt der Anteil der Katholiken in Großbritannien und Rumänien nur knapp 10 %, in Skandinavien und Griechenland liegt er unter 2 %.

In Deutschland leben 24,2 Millionen Katholiken (Stand: 2013), d. h. etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung gehört der katholischen Kirche an. Kirchlich gliedert sich die katholische Kirche in Deutschland in 27 Diözesen, die in sieben Kirchenprovinzen mit den Erzdiözesen Bamberg, Berlin, Freiburg, Hamburg, Köln, München-Freising und Paderborn zusammengeschlossen sind. Die größte Diözese ist mit ca. 2 Millionen Katholiken das Erzbistum Köln, die kleinste mit ca. 29.000 Gläubigen das Bistum Görlitz. Was den Anteil der Katholiken an der Bevölkerung betrifft, gibt es große regionale Unterschiede: Im Norden und Osten Deutschlands bilden die Katholiken eine Minderheit (ca. 7 % im Erzbistum Hamburg, ca. 3 % im Bistum Dresden-Meißen), während sie im Süden in der Regel die Mehrheit stellen (im Bistum Passau 89 %, im Bistum Regensburg 70 % der Bevölkerung). Durchschnittlich nehmen 10,8 % der Katholiken in Deutschland regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teil – mit deutlichen regionalen Unterschieden (20,1 % im Bistum Görlitz, 8,3 % im Bistum Aachen). Die Zahl der Pfarreien (11.085) und der Priester (14.490, davon 12.336 Diözesanpriester und 2.154 Ordenspriester) ist in den letzten Jahren zurückgegangen, während die Zahl der – in der Regel verheirateten – Ständigen Diakone (3.210), der Pastoral-referentinnen und -referenten (Laien im pastoralen Dienst, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Theologie haben: 3.140) sowie der Gemeindereferentinnen und -referenten (Laien im pastoralen Dienst, die an einer Fachhochschule studiert haben: 4.470) leicht gestiegen ist. In allen deutschen Diözesen stehen derzeit größere oder kleinere Strukturreformen an, durch die auf die zurückgehende Zahl der Gläubigen und Seelsorger reagiert werden soll.

Im Unterschied zu Deutschland stellen die 5,3 Millionen Katholiken in Österreich nach wie vor die Mehrheit der Bevölkerung (ca. 65 %), auch wenn sowohl die absoluten Zahlen als auch der relative Anteil in den letzten Jahren gesunken sind. In Österreich gibt es zwei Erzbistümer (Salzburg und Wien), denen die übrigen sieben Diözesen des Landes zugeordnet sind: Zur Salzburger Kirchenprovinz gehören die Diözesen Feldkirch, Graz-Seckau, Gurk und Innsbruck, zu Wien die Diözesen Eisenstadt, Linz und St. Pölten. In den 3.051 Pfarreien Österreichs (Stand: 2013) sind 2.218 Weltpriester und 656 Ständige Diakone tätig. In den österreichischen Klöstern leben 1.525 Ordenspriester, 504 Ordensbrüder und 4.241 Ordensschwestern. Der Anteil der Gottesdienstteilnehmer liegt in Österreich bei durchschnittlich 11,4 %.

In der Schweiz liegt der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung bei ca. 38 %, wobei es große Unterschiede zwischen traditionell katholischen Kantonen (z. B. Freiburg, Wallis), primär reformierten Kantonen (z. B. Bern, Zürich) und ursprünglich paritätischen Kantonen (z. B. Aargau, Graubünden) gibt. Die 3,2 Millionen Schweizer Katholiken gehören zu sechs Diözesen (Basel, Chur, Lausanne-Genf-Freiburg, Lugano, Sitten, St. Gallen) und zwei Territorialabteien (Einsiedeln und Saint-Maurice). In den Schweizer Diözesen spielen neben den 1.503 Diözesanpriestern und 246 Ständigen Diakonen viele Pastoralreferentinnen und -referenten eine große Rolle in der Seelsorge in den insgesamt 1.635 Pfarreien (Stand: 2012). Vergleichsweise hoch ist die Zahl der Ordensangehörigen in der Schweiz mit 1.445 Ordensmännern (davon 1.007 Ordenspriester) und 5.042 Ordensfrauen. Eine statistische Erfassung der Gottesdienstteilnehmer liegt für die Schweiz nicht vor. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die Zahlen in einer ähnlichen Größenordnung wie in Deutschland und Österreich bewegen – mit einer fallenden Tendenz in den letzten Jahrzehnten.

Eine umgekehrte Entwicklung ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten in den mit Rom unierten Ostkirchen zu beobachten. Hier ist die Zahl der Gläubigen wie auch der Priester fast überall gestiegen, zum Teil bedingt durch das Ende der kommunistischen Herrschaft in vielen Staaten Osteuropas, zum Teil als Folge aktiver Missionstätigkeit, vor allem in Indien. Diese katholischen Ostkirchen sind im Laufe der Kirchengeschichte entstanden, weil sich entweder Rom um Unionsabschlüsse mit einzelnen orthodoxen Kirchen bemüht hatte, um die zerbrochene Einheit zwischen den Kirchen in Ost und West wiederherzustellen, oder weil diese Kirchen von sich aus um eine Union mit Rom nachsuchten, von der sie sich eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Stellung erhofften. Beim Abschluss der Union wurde diesen Kirchen in der Regel gestattet, ihren eigenen Ritus beizubehalten, so dass diese Kirchen ihre Gottesdienste bis heute in derselben Form feiern wie die orthodoxen Kirchen, aus denen sie hervorgegangen sind. Mit Billigung Roms befolgen diese Kirchen auch das östliche Kirchenrecht, das beispielsweise die Weihe verheirateter Männer zu Priestern erlaubt. Auch wenn diese Kirchen damit ein positives Zeichen für die innerhalb der katholischen Kirche mögliche Vielfalt setzen, bilden sie in ökumenischer Hinsicht zugleich einen Stein des Anstoßes. Das liegt daran, dass in fast allen Fällen (eine Ausnahme bildet die Maronitische Kirche) sich jeweils nur ein Teil der Gläubigen der betreffenden Ortskirchen dem Römischen Stuhl anschloss, so dass die Unionsbemühungen letztlich nicht zur Wiederherstellung der Einheit, sondern zur Errichtung paralleler Kirchenstrukturen führten. Bis heute steht beinahe jeder orthodoxen oder orientalisch-orthodoxen Kirche auch eine mit Rom unierte Ostkirche gegenüber. Letztere sind oft erheblich kleiner als die orthodoxen Kirchen, die in der Regel die Kultur des Landes geprägt haben (z. B. in Rumänien, Armenien oder Ägypten), teilweise sind sie heute aber auch größer als ihre orthodoxen Schwesterkirchen (dies ist z. B. bei den Chaldäern im Irak oder bei der Syro-Malabarischen Kirche in Indien der Fall). Ein tabellarischer Überblick verdeutlicht die Vielfalt der katholischen Ostkirchen (Zahlenangaben nach dem „Annuario Pontificio“ 2014):

Überblick: Die katholischen Ostkirchen

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Weltweit gibt es somit etwa 17 Millionen Katholiken, die einer dieser Kirchen angehören. Die zahlenmäßig größte ist heute die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (ca. 4,5 Mill. Gläubige), die auch in Deutschland mit einem Bischof (mit Sitz in München) vertreten ist. Alle katholischen Ostkirchen sind Kirchen eigenen Rechts („ecclesiae sui iuris“), für die ein eigenes Kirchenrecht gilt (der „Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium“, kurz CCEO). Einige von ihnen haben den Status eines Patriarchats, weil beim Abschluss der Union ein Patriarch an der Spitze dieser Kirche stand, andere sind als Großerzbistum oder Metropolie (mit eigener Synode) verfasst, die kleineren haben nur den Status eines Bistums (Eparchie) oder eines Apostolischen Exarchats und sind damit der römischen Kongregation für die Ostkirchen unterstellt. Aufgrund von Migration leben viele Gläubige dieser Kirchen inzwischen außerhalb ihrer angestammten Heimat. Teilweise wurden für sie eigene Kirchenstrukturen errichtet; wo das nicht der Fall ist, sind sie dem lateinischen Ortsbischof unterstellt.

2.GESCHICHTE

Die 2000-jährige Geschichte der Kirche lässt sich nicht auf wenigen Seiten beschreiben. Daher können in diesem Abschnitt nur einige identitätsstiftende Momente benannt werden, die für die Entwicklung der katholischen Kirche von großer Bedeutung waren und zum Teil bis heute sind. Damit in diesem Überblick nicht nur die institutionelle Seite der Kirche in den Blick genommen wird, werden im Folgenden vier Themenkreise erörtert: die Geschichte der Konzile, die Geschichte des Papsttums, die Geschichte der Orden und die Geschichte der Heiligen. Diese vier unterschiedlichen Perspektiven verdeutlichen die Vielfalt der kirchengeschichtlichen Entwicklung, aus der die Prägung des Selbstverständnisses der katholischen Kirche als einer „allumfassenden“ Kirche resultiert. Aufgrund der Fülle des historischen Materials können in jedem Themenkreis nur einige ausgewählte Ereignisse bzw. Personen exemplarisch benannt werden. Das erste Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung wird dabei mit in den Blick genommen, weil hier zum Teil wegweisende Entscheidungen getroffen wurden, auch wenn diese Entwicklung nicht nur die römisch-katholische Kirche geprägt hat.

2.1Konzile

Der Glaube der Kirche wurde maßgeblich geprägt durch die Konzile, auf denen Vertreter verschiedener Ortskirchen den rechten Glauben – meist in Abgrenzung von bestimmten Irrlehren – zu definieren suchten. Da die Beschlüsse der Konzile auf die Entwicklung der katholischen Glaubenslehre einen größeren Einfluss hatten als die Entscheidungen einzelner Päpste, werden sie hier an erster Stelle behandelt. Im Blick auf die Geschichte der Konzile sind zunächst die sieben Ökumenischen Konzile des ersten Jahrtausends zu erwähnen, in denen grundlegende Entscheidungen in den christologischen und trinitätstheologischen Debatten der frühen Christenheit getroffen wurden. Von fundamentaler Bedeutung sind insbesondere die Entscheidungen des ersten (Nizäa 325) und des zweiten (Konstantinopel 381) Ökumenischen Konzils im Blick auf die Gottheit Jesu Christi und des Heiligen Geistes, die im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel ihren Niederschlag gefunden haben, das bis heute die Christen aus allen Konfessionen miteinander verbindet. Nach der schon nicht mehr unumstrittenen Entscheidung des dritten Ökumenischen Konzils (Ephesus 431) über die Gottesmutterschaft Mariens begann bereits nach dem vierten Ökumenischen Konzil (Chalkedon 451) die Geschichte der Trennung der Christenheit, weil ein großer Teil der damaligen Christen – die später die Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen bildeten – die Beschlüsse des Konzils bezüglich des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus ablehnte. Das letzte die Kirchen aus Ost und West verbindende Konzil der römischen Reichskirche war das siebte Ökumenische Konzil (Nizäa 787), das die Legitimität der Bilderverehrung bestätigte.

Besonderheiten in der Lehrentwicklung der westlichen Christenheit zeichnen sich erstmals in den Entscheidungen des 4. Laterankonzils (1215) ab, das über 70 Dekrete erließ, in denen es u. a. um die Sakramente (die jährliche Beichte und Kommunion werden vorgeschrieben; der Begriff „Transsubstantiation“ wird erstmals auf die Eucharistie angewandt; finanzielle Abgaben für Sakramente werden verboten), um die Sicherung der Qualität der kirchlichen Lehre (Predigt nur mit „missio canonica“; an jeder Metropolitankirche soll es einen studierten Theologen geben) sowie um die Durchführung von Reformen in der Kirche (jährliche Provinzialsynoden, regelmäßige Ordenskapitel) ging. Zu den bedeutendsten Konzilen des Spätmittelalters zählt sicher das Konzil von Konstanz (1414-18), dem es einerseits gelang, das Papstschisma (drei parallele Amtsinhaber) zu überwinden, das aber andererseits durch die Verurteilung von Jan Hus ein deutliches Signal gegen die aufkommenden Reformbewegungen setzte und damit indirekt den Weg zur „Reformation“ und Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts bereitete.

Auf die Herausforderung der Wittenberger Reformbewegung, die mit den Namen Martin Luther und Philipp Melanchthon verbunden ist und die zunächst eine innerkirchliche Reform anstrebte, reagierten Papst und Bischöfe mit dem Konzil von Trient (1545-63), das allerdings zu spät einberufen wurde, um den Bruch zwischen den deutschen und schweizerischen Reformatoren und den mit Rom verbundenen Bischöfen noch verhindern zu können. Das Trienter Konzil verurteilte einerseits in seinen Kanones bestimmte Lehrmeinungen der Reformatoren, bot aber andererseits in seinen Lehrkapiteln auch eine positive Darlegung der „katholischen“ Glaubenslehre. Die nachtridentinische Apologetik bezog sich leider oft nur auf die Kanones, die auf Abgrenzung zur reformatorischen Lehre bedacht waren, während die Lehrkapitel nur unzureichend rezipiert wurden. Durch die Schaffung einer einheitlichen Liturgie („Missale Romanum“, 1570 => tridentinischer Ritus), einer verbindlichen Lehrgrundlage („Trienter Katechismus“) und die Errichtung von Priesterseminaren in allen Diözesen, in denen beides vermittelt wurde, entstand nach dem Konzil von Trient allmählich eine „katholische“ Identität in Abgrenzung von den anderen Christen, die zumindest als Schismatiker, zuweilen auch als Häretiker betrachtet wurden. Das Trienter Konzil prägte damit für mehrere Jahrhunderte das Selbstverständnis der katholischen Kirche.

Als Reformkonzil hatte sich Trient vor allem mit den von den Reformatoren aufgeworfenen Fragen der Gnaden- und Sakramentenlehre befasst. Eine tiefere Reflexion über die Ekklesiologie, also das Wesen der Kirche und das theologische Fundament der Kirchenverfassung einschließlich der Rolle des Papstes und der Bischöfe, setzte erst in nachtridentinischer Zeit ein. Auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) standen daher erstmals Fragen der Ekklesiologie auf der Tagesordnung eines Konzils. Im Wesentlichen ging es bei diesem Konzil um die Auseinandersetzung mit einer als kirchenfeindlich empfundenen neuzeitlichen Welt, der gegenüber das Konzil die Vernunftgemäßheit des Glaubens und die Souveränität des Papstes betonte. Die in der Konstitution „Pastor aeternus“ – gegen den Widerstand einer namhaften Minderheit des Konzilsväter – definierte Unfehlbarkeit des Papstes sowie sein Jurisdiktionsprimat sollten die Unabhängigkeit der Kirche vor staatlicher Einflussnahme und die Einheit der Kirche nach innen sichern. Diese „Papstdogmen“ erfuhren nach dem Konzil eine sehr einseitige Interpretation: zum einen, weil sie aufgrund des vorzeitigen Abbruchs des Konzils (wegen der Annexion des Kirchenstaates durch Italien) ohne die eigentlich vorgesehene Ergänzung um Ausführungen zur Bedeutung des Bischofsamtes verabschiedet wurden und damit ohne „theologisches Korrektiv“ blieben, zum anderen, weil in der kirchenrechtlichen Rezeption eine maximalistische Interpretation der Papstdogmen dominierte, die nicht der in der Konzilsaula vorgetragenen Interpretation der Definition entsprach.

Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) konnte mit einer ausführlichen Darlegung des Selbstverständnisses der katholischen Kirche in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ die Lücke füllen, die das unvollendete Erste Vaticanum hinterlassen hatte. Allerdings geschah dies nun unter veränderten Vorzeichen. Die Kirche wird nicht mehr im Gegenüber zur „sündhaften“ Welt beschrieben, sondern als pilgerndes Volk Gottes in der Welt, das auch Sünder umfasst und daher auf dem Weg zum Reich Gottes einer „ständigen Reformation“ bedarf. Die Konzilsväter griffen den Appell von Papst Johannes XXIII. zu einem „Aggiornamento“, einer Verheutigung des Glaubens auf. Dies führte nicht nur zu einer theologischen Neubestimmung der „Kirche in der Welt von heute“ (in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“), sondern auch zu einer in der Liturgiekonstitution grundgelegten und von Papst Paul VI. nach dem Konzil konsequent umgesetzten Liturgiereform, die den Reformwillen des Konzils auch für die Gläubigen vor Ort konkret erfahrbar werden ließ. Die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils prägen auch heute noch, 50 Jahre nach dem Ende des Konzils, den Glauben und das Leben der Katholiken in aller Welt. Selbst wenn manche richtungsweisenden Beschlüsse des Konzils bis heute kontrovers diskutiert werden, legt dieses Konzil damit ein beredtes Zeugnis dafür ab, wie stark der Einfluss der Konzile auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche ist.

2.2Papsttum

Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der katholischen Kirche hatten neben den Konzilen aber auch einzelne Bischöfe. Dazu zählen einerseits herausragende Theologen wie Irenäus von Lyon, Cyprian von Karthago, Ambrosius von Mailand oder Augustinus von Hippo, andererseits aber auch eine ganze Reihe der Inhaber der fünf altkirchlichen Patriarchatssitze (Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem). Dass der Bischof von Rom in dieser „Pentarchie“ an erster Stelle stand, hatte zunächst mit der historischen und politischen Bedeutung der Stadt Rom zu tun, wurde aber sehr bald auch theologisch begründet mit dem Martyrium der beiden Apostel Petrus und Paulus in Rom. Die römischen Bischöfe sahen sich nicht nur als Nachfolger Petri (diesen Anspruch erhoben z. B. auch die Bischöfe von Antiochien), sondern als Hüter der apostolischen Tradition der beiden „Apostelfürsten“ Petrus und Paulus. Die Autorität Roms in Fragen der Lehre wurde auch von den anderen Patriarchaten anerkannt, wie das Konzil von Chalkedon (451) zeigt, das ein Schreiben Papst Leos I. (440-461) als authentischen Ausdruck des apostolischen Glaubens anerkannte („Petrus hat durch Leo gesprochen“). Die im 9. Jahrhundert entstandenen „Pseudo-Isidorischen Dekretalen“ versuchten, auch die jurisdiktionellen Vollmachten des Papsttums zu legitimieren und führten zu einer Autoritätssteigerung des Papsttums (zumindest im Abendland), die im „Dictatus Papae“ (1075) Papst Gregors VII. und der Bulle „Unam Sanctam“ (1302) Papst Bonifatius‘ VIII. ihren Höhepunkt erreichte. Diese päpstlichen Lehrschreiben sind vor dem Hintergrund des Investiturstreits (Einsetzung von Geistlichen durch weltliche oder kirchliche Autoritäten) und den damit verbundenen Auseinandersetzungen zwischen den Bischöfen von Rom und den weltlichen Herrschern zu sehen, in denen der „Gang nach Canossa“ König Heinrichs IV. (1077) eine symbolträchtige Episode bildet. Dass es zumindest Papst Gregor VII. (1073-85) dabei nicht nur um weltliche Machtansprüche, sondern um eine innerkirchliche Reform und die Freiheit der Kirche von weltlicher Bevormundung ging, verdeutlicht die ebenfalls mit seinem Namen verbundene „Gregorianische Reform“, die sich gegen Simonie (Kauf geistlicher Ämter) richtete und Wert auf die Bildung des Klerus legte.

Gut einhundert Jahre später steht mit Innozenz III. (1198-1216) eine der prägendsten Papstgestalten des Mittelalters an der Spitze der römischen Kirche. In ihm zeigt sich die ambivalente Seite einer ganz auf den römischen Bischofssitz ausgerichteten Kirchenstruktur: Einerseits vermochte Innozenz gerade durch seine exponierte Stellung innerkirchliche Reformbewegungen (Franz von Assisi) zu fördern, andererseits zeigen seine Konflikte mit den weltlichen Herrschern in Deutschland und England sowie die Kreuzzugsbewegung, vor allem die Eroberung Konstantinopels durch lateinische Kreuzfahrer (1204), die negative Seite eines auch im weltlichen Machtgefüge agierenden Papstes. Im 14. und 15. Jahrhundert verlor das Papsttum durch das „Exil“ in Avignon, den Streit zwischen konkurrierenden Amtsinhabern und die Auseinandersetzung mit dem Konziliarismus an Einfluss, bevor es nach dem Konzil von Trient (1545-63) und durch die von ihm initiierte und von den nachfolgenden Päpsten vorangetriebene „Katholische Reform“ einen neuen Aufschwung erlebte. Im Gefolge der Reformation bildete sich allmählich ein konfessionelles Bewusstsein der „Katholiken“ heraus, die dem Papst die Treue hielten. Die Orientierung an Rom förderte zugleich die Zentralisierung der nun „römisch-katholischen“ Kirche, wie sie durch die verpflichtende Einführung der „Ad-limina-Besuche“ der katholischen Bischöfe in Rom, die Einrichtung ständiger Nuntiaturen oder die Gründung der „Propaganda fide“ (1622), einer römischen Kongregation, die die weltweiten missionarischen Aktivitäten koordinierte (und kontrollierte), zum Ausdruck kam.

Die Auseinandersetzung mit dem staatlichen Absolutismus, den antipäpstlichen Affekten der Aufklärung und den Unabhängigkeitsbestrebungen des französischen Gallikanismus förderte im 19. Jahrhundert den immer engeren Zusammenschluss der Papsttreuen in der „ultramontanen“ Bewegung. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Definition der Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats des Papstes durch das Erste Vatikanische Konzil (1869/70), mit der die Bischöfe – gerade angesichts des Zusammenbruchs der weltlichen Macht der Kirche (Auflösung des Kirchenstaats) – die innere Geschlossenheit der katholischen Kirche zu sichern versuchten. Das 20. Jahrhundert war vom Ringen um die rechte Verhältnisbestimmung der Kirche zur modernen Welt (vom „Antimodernisteneid“ unter Papst Pius X. bis zum „Aggiornamento“ unter Papst Johannes XXIII.) und der Auseinandersetzung mit den totalitären Regimen (Kommunismus und Faschismus) geprägt. Am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert steht das Papsttum – einerseits bedingt durch die Entwicklung der modernen Medien, andererseits gefördert durch „medienaffine“ Päpste wie Johannes Paul II. (1978-2005) und Franziskus (seit 2013) – wie nie zuvor im Fokus der Öffentlichkeit und prägt damit das Bild der katholischen Kirche.

2.3Orden

Die Geschichte der katholischen Kirche ist immer noch unvollständig erfasst, solange wir nur die Entscheidungen der Konzile und das Handeln der Päpste und Bischöfe in den Blick genommen haben. Für die Spiritualität und das kirchlichen Leben (s. u.: Abschnitt 4) spielen geistliche Bewegungen – sowohl die klassischen Orden als auch die neuzeitlichen Kongregationen und die erst in jüngster Zeit entstandenen geistlichen Gemeinschaften – eine weitaus bedeutendere Rolle als die kirchliche Hierarchie. Seit der frühen Kirche war das Mönchtum eine Art Gradmesser für die Vitalität des geistlichen Lebens in der Kirche. Neben den Einsiedlern entwickelten sich schon früh koinobitische (gemeinschaftliche) Lebensformen. Die Entwicklung des Mönchtums im Abendland ist eng mit dem Namen des hl. Benedikt von Nursia (480-547) verbunden. Die Benediktinerklöster waren Zentren der Liturgie und der Gelehrsamkeit und galten als Vorbild eines gemeinschaftlichen Lebens aus dem Geist. Viele Reformbewegungen in der Kirche gingen aus dem Umfeld der Klöster hervor, wie beispielsweise die von Cluny ausgehende benediktinische Klosterreform im 10./11. Jahrhundert. Neben den klassischen Mönchsorden (Benediktiner, Zisterzienser, Trappisten, Kartäuser) hatten auch die sogenannten Regularkanoniker (Augustiner, Prämonstratenser), deren Ursprünge im gemeinschaftlichen Leben der Kleriker an Kathedral- und Stiftskirchen liegen, einen maßgeblichen Einfluss auf die katholische Spiritualität. Dies gilt nicht minder für die unter dem Begriff „Bettelorden“ zusammengefassten Gemeinschaften (Dominikaner, Franziskaner, Karmeliten), die im 13./14. Jahrhundert als Gegenbewegung gegen einen in weltliche Belange verstrickten Klerus entstanden und wesentlich zur Erneuerung des geistlichen Lebens in der abendländischen Kirche beitrugen. Dennoch waren diese innerkirchlichen Reformbewegungen nicht so stark, dass sie die Reformation des 16. Jahrhunderts und damit die Spaltung der abendländischen Kirche hätten verhindern können.

In der nachreformatorischen Zeit spielten Ordensgemeinschaften eine wichtige Rolle bei der innerkatholischen Reform. Von zentraler Bedeutung war insbesondere die von Ignatius von Loyola (1491-1556) gegründete „Societas Jesu“. Die Jesuiten unterschieden sich von den klassischen Orden nicht nur durch das zusätzliche Gelübde des Papstgehorsams, sondern auch durch den Verzicht auf einen Ordenshabit, das gemeinsame Chorgebet und die Klausur. Nach der Anerkennung der Jesuiten durch Papst Paul III. im Jahr 1540 widmeten sie sich Predigt und Katechese, Exerzitien und Volksmissionen sowie dem Unterricht in höheren Schulen und der theologischen Ausbildung. Von großer Bedeutung für die nachreformatorische Entwicklung der katholischen Kirche waren neben den Jesuiten auch die Kapuziner, ein Zweig der franziskanischen Ordensfamilie. Während die Jesuiten vor allem Kollegien in größeren Städten gründeten, verfolgten die Kapuziner einen anderen Weg, indem sie bisweilen sehr kleine Konvente in möglichst vielen Dörfern gründeten. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert entstanden darüber hinaus zahlreiche Ordenskongregationen, die sich je nach Ausrichtung entweder dem Unterricht, der Krankenpflege oder der Fürsorge für Waisen und Behinderte widmeten.